Wenn man die Szántó-Synagoge im beschaulichen Donaustädtchen Szentendre, etwa eine halbe Autostunde nördlich von Budapest, betritt, kann man sich kaum vorstellen, dass dort Gottesdienste stattfinden können, so winzig ist sie. »Doch!«, widerspricht der Gründer der wahrscheinlich kleinsten Synagoge der Welt, András Szántó, und lächelt. »Ein Minjan passt gerade hinein.«
Bei diesem sprichwörtlichen Kleinod handelt es sich um den einzigen jüdischen Tempel in Ungarn, der nach dem Zweiten Weltkrieg neu gebaut wurde. Und zwar aus privater Initiative. »Es war der Traum meines Vaters, eine Synagoge zu Ehren meiner Großeltern und der im Zweiten Weltkrieg verschleppten Juden der Stadt und der Umgebung zu errichten. Leider konnte er das Vorhaben durch seinen frühen Tod nicht zu Ende bringen«, erzählt Szántó.
Er habe es als seine Pflicht empfunden, das Projekt zu vollenden. Finanziert habe er es zum größten Teil selbst, aber auch der Verband der ungarischen jüdischen Gemeinden, Mazsihisz, und Privatpersonen hätten mit Spenden zu den Kosten beigetragen. Vor genau 25 Jahren dann hat der damalige Landesoberrabbiner József Schweitzer die zwölf Quadratmeter kleine Synagoge eingeweiht, die im Hof des Familienhauses steht. Und sie ist nicht nur Bethaus, sondern auch Gedenkstätte und Museum.
In Vitrinen liegen gerettete Judaika, Erinnerungsstücke der Familie und Andenken an die Opfer der Schoa. Besonders bewegend ist ein zerfranstes Blatt Papier mit vielen Unterschriften, über denen steht: »Wir wollen nach Hause!« Irgendwie haben es die im KZ Bergen-Belsen eingesperrten Häftlinge aus Szentendre geschafft, dieses Stück Papier zu beschriften und zu verstecken. Einer der Überlebenden hat es nach der Befreiung mit nach Hause genommen. Nur wenigen ist ihr Wunsch in Erfüllung gegangen: Von 260 Deportierten haben 15 überlebt. Die Namen der Ermordeten sind auf einer Marmortafel im Hof verewigt.
Die Torarollen sind die Originale
In den 60er-Jahren hatte die Gemeinde aufgehört zu existieren. Ihr Tempel wurde vom Staat übernommen, dessen Einrichtung auf verschiedene Synagogen in der Hauptstadt verteilt. »Glücklicherweise hat meine Oma eine akkurate Übergabeliste angefertigt. So konnten wir vieles zurückfordern«, sagt Szántó. Zum Beispiel die Torarollen seien die Originale.
Mit den Jahren ist die Mini-Synagoge zur Sehenswürdigkeit geworden in Szentendre, das mit seinen verwinkelten Gässchen, Museen und Cafés ein beliebtes Touristenziel ist. Besucher kommen aus aller Welt, und Fremdenführer bringen sie gern hierher. 100 bis 150 Personen sind es am Wochenende, so die Schätzung. Klári Huszti, eine gläubige Katholikin, erwartet sie am Eingang, erklärt, was die Gegenstände bedeuten, und spricht über die Geschichte des örtlichen Judentums. »Viele sind zum ersten Mal in einer Synagoge und scheu, denn sie wissen nicht so recht, wie man sich hier benimmt«, sagt sie. »Ich beruhige sie dann und erkläre, dass es keine besonderen Vorschriften gibt, außer, dass die Männer eine von mir geliehene Kippa tragen müssen.«
Dank der Errichtung dieser Synagoge gibt es wieder jüdisches Leben in der Stadt, mit etwa 60 Gemeindemitgliedern, deren Vorsitzender Szántó ist. Alle seien in den vergangenen Jahren aus Budapest zugezogen. Kabbalat Schabbat wird allerdings nur etwa alle drei Monate gefeiert. Dazu müssen Rabbiner und Kantor extra aus Budapest anreisen. Die meisten Betenden stehen dann im Hof, Männer und Frauen gemischt. »An größeren Feiertagen wie Chanukka müssen wir sogar einen separaten Raum anmieten«, so András Szántó. Der Traum seines Vaters ist in Erfüllung gegangen.