Die Lage in der Ukraine-Krise bleibt angespannt. Yaakov Bleich, Oberrabbiner von Kiew, sagt im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, dass man in der ukrainischen Hauptstadt weiterhin im Ungewissen sei, ob Russland die Ukraine angreifen werde. Erst habe es geheißen, Putin ziehe Truppen ab, dann sei vom Gegenteil die Rede gewesen. »Die Hauptsorge der Menschen in der jüdischen Gemeinde in Kiew ist derzeit die Angst und der damit verbundene Stress«, so Rabbi Bleich.
Außerdem sei die wirtschaftliche Situation in den vergangenen Wochen sehr schwierig gewesen. »Die Menschen leiden fürchterlich, weil es eine Art Blockade gibt.« Die Häfen im Süden seien blockiert, weil die Russen im Süden ihre Kriegsspiele spielten. »Die Menschen sind verängstigt, weil sie einfach nicht wissen, was passieren wird.«
UNSICHERHEIT Dass westliche Länder wie die USA, Großbritannien, Kanada und auch Israel dabei sind, ihre Botschaften, oder Teile davon, von Kiew nach Lwiw in die West-Ukraine zu verlegen, gebe den Ukrainern ein zusätzliches Gefühl der Unsicherheit. »Die Leute sind sehr nervös«, so Rabbi Bleich. Für Gemeindemitglieder, die das wollen, insbesondere für Kinder, würden deshalb auch Gemeindeeinrichtungen nach Westen verlegt.
Um die Sicherheit der Gemeindeeinrichtungen in Kiew sei man sehr besorgt. »Wir wollen keine Provokationen.« 2014 habe Putin Stellvertreter für Angriffe auf die Gemeinde geschickt, um die Ukrainer in ein schlechtes Licht zu rücken. »Wir wollen kein Teil davon sein, denn das ist kein jüdisches Problem«, erläutert der Rabbi. Deswegen sehe sich die Gemeinde gezwungen, mehr Geld für Sicherheit und auch für Lebensmittelhilfen aufzuwenden. Das Problem sei, dass Putin noch zwei oder drei Wochen die derzeitige Situation fortsetzen könne, während die Menschen in der Ukraine es sehr schwer hätten, unter solchen Umständen ihr Leben fortzusetzen.
HILFE Aus Israel komme leider nicht sehr viel Hilfe, sagt Bleich. Stattdessen spreche Jerusalem angeblich lieber Angriffe in Syrien mit Moskau ab. »Ich denke, das liegt daran, dass die Regierung sehr unkoordiniert und ohne richtige Führung ist.« Sie sei unerfahren und handle seiner Meinung nach nicht besonders schlau.
Ukrainische Juden, die derzeit nach Israel reisten, würden nachdrücklich gefragt, warum sie denn nicht Alija machten, also nach Israel einwandern. Sie würden laut Bleich regelrecht unter Druck gesetzt. Israel gehe es nur um seine eigenen Bürger und um die Alija. Er kenne nicht viele Gemeindemitglieder in Kiew, die derzeit wirklich Alija machen wollten.
Von westeuropäischen Juden, ihren humanitären Organisationen und jüdischen Gemeinden bekämen sie hingegen eine Menge Unterstützung – in Form von Nahrungsmittellieferungen oder anderen humanitären Hilfen. »Menschen aus jüdischen Gemeinden in der Slowakei, Italien oder Großbritannien rufen uns an und fragen, was wir brauchen.«
Man habe auch eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, damit Menschen aus Europa spenden können. Er könne nur hoffen, dass sich die Dinge in den nächsten Tagen klären und die Situation sich stabilisieren werde. »Wir hoffen, dass wir dann zu unserem Leben zurückkehren können.«