Mein Vorname ist schrecklich», beginnt Ronn Elfors Lipsker seine Stand-up-Comedy im Stockholmer Stadtteil Södermalm. Jedes Mal, wenn er sich vorstelle, sagt er, würden Schweden bei der Herkunft seines Namens zielsicher auf «amerikanisch» tippen. Sobald er «israelisch» sagt, zucken sie peinlich berührt zurück, schweigen betreten – und betonen dann, sie hätten einmal in New York eine jüdische Familie getroffen; ob er die bei seinem nächsten Besuch vielleicht schön grüßen könne?
Auf der Bühne erzählt Lipsker von alltäglichen Begegnungen wie diesen mit viel Witz, Charme und Herz. Was ihn dabei so sympathisch macht: Er entblößt das komische Moment – und wie! –, doch nie die Menschen. Da wundert es kaum, dass seine Vorstellungen oft ausverkauft sind. Selbst YouTube-Clips früherer Shows werden auch Jahre später noch eifrig angeklickt.
In Schweden ist Lipskers Erfolg nicht ungewöhnlich. Die Schweden mögen Comedy, und sie können über sich selbst lachen. Zum Glück, meint der gelernte Schauspieler und Regisseur. «An Schweden mag ich, dass man weiß, was man bekommt», sagt er. «Das heißt aber auch: Es gibt kaum Überraschungen. Wir leben im Paradies und haben trotzdem dauernd etwas zu meckern.» Doch auch das hat sein Gutes: So geht dem Komiker der Stoff für neue Shows nie aus.
Improvisation «Ich liebe Stockholm», schwärmt Lipsker von seiner Heimatstadt. «Vor allem Södermalm mit seinen vielen Cafés und Parks.» Gleich um die Ecke seiner Show-Bühne liegt das Pocket-Theater, sein früherer Arbeitsplatz. Mittlerweile pendelt der Schauspieler zwischen Theater, Film, Werbung, Trainings, Vorträgen und vor allem Comedyshows.
Der 43-Jährige ist ein Meister der Improvisationskunst und zudem Stockholms bekanntester jüdischer Stand-up-Komiker. Liebevoll-selbstironisch nimmt er die «jiddische Mamme» auf die Schippe. Auch seine eigene. Deren Kommentar «Woody Allen sei nicht ihr Typ» ist ein Running Gag bei jedem Auftritt. Meist biegt sich das Publikum schon an dieser Stelle vor Lachen.
Doch Ronn Elfors Lipsker betrachtet auch die jüdische Identität mit Humor. «Das bietet sich hier einfach an», sagt er und grinst. Da gebe es Juden, die keine sein wollen, Juden, die Orientierung suchen, Juden, die sich jüdisch fühlen, schwedisch oder israelisch – so wie er selbst. Dass dieses Identitätschaos oft auch zur Verwirrung bei Nichtjuden führt, ermuntert den Komiker zu herrlichen Pointen.
Anders als bei seinen vielen Kollegen im boomenden Stand-up-Comedy-Geschäft ist der Blickwinkel dabei jüdisch-humorvoll: Ronn Elfors Lipsker spielt mit Tabus, ohne in Geschmacklosigkeit abzurutschen. Er deckt Vorurteile auf, ohne zu urteilen. Er schont sein Publikum nicht, sondern trifft es dort, wo es am empfindlichsten ist – und am empfänglichsten für Selbstironie.
Beobachter Ronn Elfors Lipsker ist ein guter Beobachter. Er hat ein feines Gespür für Zwischentöne, Kommunikationsfallen, Missverständnisse und Vorbehalte jeglicher Art – besonders die zwischen verschiedenen Kulturen. Das mag daran liegen, dass er selbst in zwei Kulturen aufgewachsen ist: Ronns Vater ist Schwede, seine Mutter Israelin. Beide Kulturen könnten gegensätzlicher nicht sein – geboren in Stockholm, ist Lipsker in beiden fest verankert.
Seine Eltern lernten sich 1966, kurz vor dem Sechs-Tage-Krieg, in einem Kibbuz kennen. Damals war die Welt noch in Ordnung. Zumindest in Skandinavien. Israelis waren in den Augen vieler Schweden eher Exoten, keine «Unterdrücker» wie heute.
Ronns feine Antennen für Zwischenmenschliches, Interkulturelles und Globales waren schon in seiner Kindheit recht ausgeprägt: Denn zwischen Familienbesuchen bei den polnisch-jüdischen Verwandten im lärmenden Tel Aviv und Sommerferien im idyllischen schwedischen Holzhäuschen lagen schon damals Welten – aber zumindest auch eine Gemeinsamkeit: An beiden Orten war von Religion so gut wie keine Spur.
«Niemand ist so unjüdisch wie Israelis», beschreibt Lipsker die kulturelle Atmosphäre seiner Kindheit. «Zündest du Schabbatkerzen an, beginnen sie zu lachen. Legst du Challe auf den Tisch und sagst ein paar Gebete, halten sie dich für einen hysterischen religiösen Fanatiker», kichert Ronn.
Israel-Fokus Zu seinen prägenden Kindheitserinnerungen gehören Wochenenden mit Hebräisch sprechenden Freunden in Stockholm, egal ob Diplomaten oder Ladenbesitzer. Irgendeinen Israeli hatte Ronns Mutter immer im Schlepptau. Den starken Israel-Fokus vermutet Ronn als Gegenpol zur jüdischen Gemeinde in Stockholm. Mit ihrer direkten, aufgeschlossenen Art sei seine Mutter in der vorherrschenden «Überlebendenmentalität» der Gemeinde oft angeeckt. Erst im Alter habe sie begonnen, in die Synagoge zu gehen.
«Viele schwedische Juden verbergen ihr Jüdischsein», stellt Ronn fest. «Sie kaufen die erste Challe in einer Bäckerei, die zweite in einer anderen. Bloß nicht auffallen, ist die Devise. Und vor allem: Bloß nicht mit Israel in einen Topf geworfen werden.»
Es sind diese Beobachtungen, die Ronn in seine Shows einbaut. Doch was im Theater Gelächter erzeugt, sei im wahren Leben nur schwierig zu meistern, meint Ronn. Da hilft nur eines: Humor. Seine Komiker-Vorbilder sind Charlie Chaplin, Woody Allen und Jerry Seinfeld. Doch Ronns Leidenschaft für tragikomischen jüdischen «Straßenhumor» greift tiefer: «Jüdischer Humor ist selbstironisch, schwarz, scharf, schnell. Wenn es irgendetwas gibt, was ihn immer ausgezeichnet hat, dann sein Underdog-Winkel», sagt Lipsker. «Viele Witze handeln vom kleinen, unterdrückten Juden, der versucht, sich irgendwie durchs Leben zu schlagen. Sie bringen uns gleichzeitig zum Lachen und zum Weinen.»
Er findet jüdischen Humor im Alltag, in talmudischen Diskussionen, biblischen Geschichten – und sieht sich selbst in der Tradition von «Badchanim», fahrenden Komikern im Mittelalter, die ihr Publikum auf Hochzeiten oder zu Purim unterhielten.
«Jüdischer Humor war immer da. Doch um ihn zu verstehen, muss man schon ein paar Jahre gelebt haben. Meine Kinder zum Beispiel können damit wenig anfangen», sagt Lipsker lächelnd und erklärt: «Dazu muss man wissen, dass sich hinter jedem Witz eine Geschichte verbirgt. Jüdischer Humor ist eine Art, Geschichten zu erzählen. Und dazu braucht man Wissen.» Doch genau dieses Wissen scheint verloren zu gehen – gerade in einer säkularisierten Gesellschaft. «Je schwedischer ich mich fühle, umso integrierter bin ich», sagt Lipsker. «Dann bin ich aber Halbzeit-Jude: Man geht zu jüdischen Veranstaltungen, feiert Purim, und dann geht man morgens zur Arbeit mit seinen schwedischen Freunden.»
So weit so gut. Schwierig wird es, wenn plötzlich Israel am Pranger steht und im modernen Hightech-Schweden mittelalterlich anmutende Vorurteile gegenüber Juden hochschwappen, meist im Fahrwasser von Israelkritik. «Ich kann über alles auf der Bühne scherzen», sagt Lipsker. «Jiddische Mammes, Juden und Gojim, Schweden und schwedische Juden, sogar die Schoa. Doch Israel? Da wird es still im Saal.»
So richtig zum Thema gemacht hat er das in seiner letzten Show. Anlass war ein antisemitischer Angriff in Uppsala, einer Stadt rund 80 Kilometer nördlich von Stockholm. Jemand hatte in einem Restaurant einen Mann mit Kippa attackiert und keiner der anderen Gäste war eingeschritten. Als Lipsker davon erfuhr, dachte er: Jetzt reicht’s. In Windeseile stellte er eine Show auf die Beine mit dem Titel «Die Juden müssen verrückt sein». «Kann man nicht mal mehr ins Restaurant gehen, ohne angegriffen zu werden? Ob mit Kippa oder ohne? Können die anderen endlich aufhören, uns zu Gallionsfiguren für was auch immer zu machen? Diese Projektionen sind unser ewiges Dilemma», seufzt Ronn.
Ganz normal leben. Einfach nur er selbst sein. Danach sehnte er sich schon als Kind. Ronn ist säkular aufgewachsen, hauptsächlich mit israelisch-polnischer und schwedischer Kultur. An Schabbatkerzen oder Synagogenbesuche in seiner Kindheit kann er sich nicht erinnern. «Es gibt nur einen Gott, und wir glauben nicht an ihn», bringt Ronn sein spirituelles Familienerbe auf den Punkt – das er auch seinen Kindern weitergibt. Anders als er selbst sollen seine Kinder jedoch sehr wohl mit jüdischen Traditionen aufwachsen – aber bitte auf israelische Art.
Balanceakt «Als Jude in Schweden heute darfst du gerne eine jüdische Identität haben, die in der Kultur wurzelt. Oder wie bei mir: im Humor. Das ist lustig, denken die Leute. Das ist interessant. Doch alles, was mit Gott zu tun hat, ist verwerflich», beschreibt er den Balanceakt zwischen jüdischen Traditionen und säkularer Gesellschaft.
Dann schon lieber Israel. Doch das geht mittlerweile erst recht nicht mehr. 90 Prozent des Antisemitismus in Schweden führt Ronn auf Israelkritik zurück. Selbst hat er nie antisemitische Anfeindungen erlebt – weder privat noch auf der Bühne. Angst hat er erst dann, wenn Antisemitismus ins Verhalten übergeht. «Genau das ist in Uppsala passiert», begründet Ronn die Motivation für seine Show.
Sein Publikum fragt er deshalb geradeheraus: Wer ist denn nun wirklich verrückt, die Juden oder die Antisemiten? Schritt für Schritt lockt er die Zuschauer aus der Reserve, erst mit Imitationen schwedischer und israelischer Politiker, da ist das Eis schnell gebrochen, dann mit Selbstironie. Später, wenn die Leute gelöst lachen und denken, jetzt sei es am lustigsten, holt er eine Handpuppe hervor und lässt sie fragen: «Wo sind denn alle die jüdischen Verwandten heute?» und «Was würde passieren, wenn plötzlich Frieden wäre in Nahost?» Noch ein Scherz obendrauf, und dann, in diesem Moment, beginnen die Leute zu begreifen.
«Humor ist eine wundervolle Art, Probleme anzugehen», schwärmt Lipsker. «Natürlich geht es immer um ernste Sachen, aber auf eine komische und dadurch befreiende Weise.»
Judesein Jüdisch auf israelische Art – was meint er damit? Ronn neigt den Kopf und überlegt kurz. «Ich bringe meinen Kindern bei, keine Angst davor zu haben, für das Jüdische einzutreten. Genau das ist für mich israelisch, das ist es, wofür meine Mutter immer gestanden hat: niemals Angst haben, dass man Jude ist – nie wieder.»
Das gefällt ihm so an Tel Aviv: Am Strand zu liegen unter dem Sonnenschirm und zu wissen: Das ist unser Land. Der amerikanische Songwriter Tom Lehrer bringt dieses Gefühl für Ronn mit seinem «Chanukah in Santa Monica» auf den Punkt.
Doch Ronns israelischer Lieblingsort ist Shavei Zion, ein kleiner Moschav am Meer. «Diese Sonnenuntergänge! Das ist für mich Zionismus», schwärmt er. «Jedes Mal, wenn ich dort bin, habe ich das Lied ›Chanukah in Santa Monica‹ im Ohr», sagt Ronn – auch wenn er dabei weniger an Jehuda HaMaccabi denkt als an all jene, die vor 70 Jahren nicht aus dem brennenden Europa entkommen konnten.
Israel ist ein heißes Eisen geworden in Ronns geliebtem Stockholm – aber keines, das er nicht anfasst. Tabus sind für ihn da, ans Licht geholt zu werden, ganz gleich ob Antisemitismus, Israelhass oder Islamophobie. Gerade plant er eine neue Show, zusammen mit einem muslimischen Komiker. Ihr Titel: «Die Unbeschnittenen». «Genauso wenig wie alle Israelis Unterdrücker sind, sind alle Araber Terroristen», sagt Lipsker. «Wer diese Überzeugung nicht teilt, kommt sowieso nicht in unsere Show.»
Ein anderes Projekt ist eine Radioshow mit schwedischen Minderheiten, die gemeinsam in einem Wohnmobil durchs Land touren: ein Jude, ein Muslim, ein Roma und ein Homosexueller. Ronn reibt sich vergnügt die Hände. «Das ist ein guter Anfang für einen Witz.»