Daniel Luries Vorbilder sind John F. Kennedy und der ehemalige New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg. Lurie gilt als bescheiden und bodenständig, dem Dienst an der Gemeinde und insbesondere den Armen verpflichtet. Und nun ist der 48-Jährige selbst Bürgermeister von San Francisco und möchte seine geliebte Stadt aufräumen, besser und schöner gestalten, Obdachlosigkeit und Drogenmissbrauch bekämpfen, die Straßen wieder sicherer machen und der seit Covid zerstörten Wirtschaft wieder auf die Beine helfen. Der Soziologe Michael Shellenberger hatte 2021 den Begriff »San Fransicko« (sick bedeutet krank) geprägt, wegen der in den vergangenen Jahren drastisch zunehmenden Zahl Obdachloser und Drogenabhängiger, die rund um die Stadt in Zeltstädten und zerstörten Häusern leben.
Große Pläne, große Worte sagen manche. Wer, wenn nicht Lurie, sagen andere. Zudem könne wohl kein Bürgermeister mit der Genese einer der schönsten, aber zunehmend heruntergekommen daliegenden Städte mehr verbunden sein als Lurie. Die nordkalifornische, im Sommer oft nebelverhangene Stadt in der Bay Area hat mit Lurie seit November 2024 den vierten jüdischen Bürgermeister (eine davon war die spätere Senatorin Diane Feinstein), und das in einer Zeit, da die jüdische Gemeinschaft sich alles andere als sicher fühlt. Seit dem 7. Oktober 2023, dem groß angelegten Terrorangriff der Hamas auf die israelische Bevölkerung, prägen auch in San Francisco antisemitische und »pro-palästinensische« Proteste das Straßenbild.
An Anti-Trump-Rhetorik ist der Demokrat nicht interessiert, dafür an der Sanierung seiner Stadt.
Lurie, der 1977 in fünfter Familiengeneration in San Francisco geboren wurde, hat bis auf das Politik-Studium an der Duke University in North Carolina und einen zweijährigen Abstecher zur Robin Hood Foundation in New York nie irgendwo anders gelebt als in der Küstenmetropole. Und Lurie ist Erbe einer der berühmtesten Dynastien der Stadt: Levi Strauss. Als er zwei Jahre alt war, ließen sich seine Eltern – Miriam »Mimi« Ruchwarger und Rabbi Brian Lurie – scheiden. Die Mutter heiratete Levi Strauss’ Urgroßneffen, den Milliardär, Geschäftsmann und Philanthropen Peter E. Haas, der auch im Vorstand des Jeans-Imperiums saß und nach dem zahlreiche Gebäude der Berkeley University benannt sind, dessen Familie Museen, Sportvereine und jüdische Einrichtungen unterstützte.
Levi Strauss war Ende des 19. Jahrhunderts aus Franken nach San Francisco gekommen. Für viele Einwohner San Franciscos verkörpert sein Stief-Ururgroßneffe Daniel Lurie nicht nur eine hoffentlich neue Politik und Weltoffenheit, sondern auch Nostalgie als indirekter Nachkomme des Erfinders der besonders resistenten blauen Hose für Cowboys, die amerikanischste aller Ikonen, die die Stadt während des Goldrush von 1849 groß gemacht haben. Er selbst würde am liebsten das Levi’s-Modell 511 tragen, sagte Lurie einmal in einem Interview. Außerdem würde er seine Jeans nur selten waschen, sie bis zu zwei Wochen in Folge tragen, sie seien schließlich dazu gedacht, in ihnen zu leben.
»Billionnaires’ Row«
In San Francisco lebt Lurie mit seiner ebenfalls jüdischen Frau Becca Prowda und seinen zwei Kindern seit 2021 an einem der höchsten Punkte in Pacific Heights, auf der sogenannten »Billionnaires’ Row«, in einem Haus mit neun Schlafzimmern und fünf Bädern. Jeden Freitagabend ruft ihn sein leiblicher Vater an, um den Schabbat zu segnen. Wenn er aus den Fenstern blicke, sagt Lurie, sehe er die Schönheit der Landschaft, eine Landschaft bevölkert mit intellektuellem, menschlichem Kapital – Berkeley, Stanford, die University of San Francisco, das südlich gelegene Silicon Valley. Nirgendwo sonst in Amerika gebe es so viel geballte Energie. Als Bürgermeister wolle er dafür sorgen, dass die Menschen seine Stadt wieder so liebten wie einst und mehr in ihr sehen als Drogentod und Armut auf der einen und eine materialistische Hightech-Gemeinde auf der anderen Seite.
2005 hat Lurie die Tipping Point Community gegründet, mit einem Budget von 500 Millionen Dollar eine der größten gemeinnützigen Organisationen zur Armutsbekämpfung in den USA, der auch zahlreiche Tech-Unternehmer spendeten, darunter Chris Larsen (Ripple Labs), Marc Benioff (Salesforce) und Google-Mitgründer Sergey Brin. In San Francisco beteiligt Tipping Point sich unter anderem an Projekten für bezahlbares Wohnen.
Pizza und Burritos aus dem Mission District
Luries Lieblingsfilm über seine Stadt ist The Rock (1996) mit Sean Connery in der Hauptrolle, der auf der berühmten Gefängnisinsel Alcatraz im Meer vor der Stadt gedreht wurde. Der Bürgermeister kann nicht kochen, seine Frau, die für den kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom als Protokollchefin arbeitet, auch nicht. Die Familie lebe von Take-outs, meist Pizza und Burritos aus dem Mission District.
Lurie ist der erste Bürgermeister seit mehr als 100 Jahren, der zuvor kein politisches Amt bekleidet hat. Er habe Geld nicht nötig, sagt er und verkündete, als Bürgermeister bis auf einen symbolischen Dollar auf die für das Amt vorgesehenen 383.000 Dollar Jahresgehalt zu verzichten.
Der Stief-Ururgroßneffe von Levi Strauss steht für neue Politik und Nostalgie.
Den Bewohnern der Stadt gilt er trotz seines Reichtums nicht als abgehoben und weltfremd, sondern als handlungsorientiert, aktiv und transparent. Bei der Eröffnung der Crumbl-Kekskette in Lakeshore verteilte er rosa Kekspackungen, oder er fährt am Samstagmorgen mit seinen Kindern nach Tenderloin, dem ärmsten Stadtteil San Franciscos, um gemeinnützige Arbeit zu leisten.
An Anti-Trump-Rhetorik ist der Demokrat – der sich selbst in der Parteimitte verortet, also weder ganz rechts noch ganz links – nicht interessiert, dafür aber an der Sanierung seiner Stadt. Senkung der Betriebssteuer für Kleinunternehmen, saubere, sichere Straßen und Bürgersteige, das sind seine Themen. Gerade herrsche eine »ziemlich miese Ebbe«, San Francisco liege, was die Wirtschaft und Sicherheit angeht, am Boden, aber Lurie ist sicher, dass er die Stadt wieder auf Vordermann bringt.