Sie war die Meisterin der kleinen (Handtaschen-)Form – Minaudière genannt. Ihre hochpreisigen, mosaikartigen Miniaturen waren sowohl Sammler- als auch Kunstobjekte. Jetzt ist die Designerin Judith Leiber im Alter von 97 Jahren gestorben – nur Stunden, nachdem ihr Mann Gerson, mit dem sie 72 Jahre verheiratet war, einem Herzinfarkt erlegen war.
Geboren wurde sie in Budapest als Judith Marianne Peto – am 11. Januar 1921. Ihre Eltern Emil und Helen Peto wünschten sich eigentlich, dass ihre Tochter Chemikerin würde, um dem Erfolg eines Verwandten nachzueifern, der mit einer Tönungscreme reich geworden war. 1938 wurde sie nach England geschickt, um ihren Studien nachzugehen, doch der Zweite Weltkrieg kam dazwischen, und der Traum von einem Kosmetikimperium löste sich in Luft auf. »Hitler hat mich ins Handtaschengeschäft gebracht«, zitiert die New York Times Judith Leiber.
Nach Budapest zurückgekehrt, wurde Leiber 1939 Mitglied einer Handwerkerinnung, die zu diesem Zeitpunkt noch Juden aufnahm – trotz des stetig wachsenden Faschismus in Ungarn.
Doch auch abgesehen von der existenziellen politischen Bedrohung war ihre Lehrzeit kein Zuckerschlecken. Am Anfang standen Bodenwischen und Leimkochen. Doch Judith lernte schnell und beherrschte bald alles, was mit der Herstellung von Handtaschen zusammenhing, aus dem Effeff.
Schoa Um sie herum tobte mittlerweile der Krieg. Doch weil Judith und ihre Familie Uniformen nähten und damit als »kriegswichtig« galten, entgingen sie der Vernichtung. Allerdings nur knapp. Die letzten Wochen des Krieges verbrachte Judith in einem Keller, eingepfercht mit weiteren 60 Menschen.
Zu Hause, nach der Arbeit, galt ihre Leidenschaft aber weiterhin den Handtaschen. Sie nutzte alle Materialien, die sie finden konnte, und verkaufte nach dem Krieg einige Taschen an amerikanische Soldaten. Einer von ihnen wurde ihr künftiger Mann, der als Funker den Kontakt zwischen Wien und Budapest aufrechterhielt. 1946 heirateten die beiden und siedelten 1947 in Gerson Leibers Heimatstadt New York über.
Schnell etablierte sich Judith Leiber in ihrer neuen Heimat und arbeitete für verschiedene Handtaschenproduzenten – bis sie sich 1963 auf Initiative ihres Mannes selbstständig machte. »Ich wusste von Anfang an, was ich machen würde«, so Judith Leiber, »nämlich das Beste.«
Schon bald entwuchsen Leibers Designs den Handtaschenabteilungen und wurden in eigenen Abteilungen verkauft. Die häufig mosaikartigen Kleinodien, mal in konventioneller Kästchenform, mal in Tiergestalt oder gar als Tutenchamun-Maske eines Affenkopfes, gern auch inspiriert von Malern wie Mondrian oder Kunstwerken ihres Mannes Gerson, räumten weltweit alle erdenklichen Mode- und Designpreise ab – und schafften den Sprung in die Museen.
Hautevolee Die kleinen Kunstobjekte waren und sind bis heute begehrte Accessoires in den Händen der Hautevolee. Von Greta Garbo über Joan Sutherland, Queen Elizabeth, Raissa Gorbatschowa, Barbara Bush, Nancy Reagan bis zu Hillary Clinton, die eine Tasche in Gestalt ihrer Katze Socks besaß: Wer etwas auf sich hielt, trug Leiber.
Die Taschen machten ihre Schöpferin berühmt und reich. Und nicht nur sie. Gern erzählte Judith Leiber eine Anekdote, die sich, wie sie stets betonte, so zugetragen habe: Ein Ehemann hatte seiner Frau über sieben Jahre 14 Leiber-Taschen geschenkt. Nun stand die Scheidung an, und er wollte die Taschen als Teil der Scheidungsvereinbarung zurückhaben. »Ich könnte mich mit der Sammlung zur Ruhe setzen«, kolportierte sie ihn, um dann vergnügt hinterherzuschieben: »Die Frau behielt die Taschen.«
Über beinahe ein Dreivierteljahrhundert lang lebte das Künstlerehepaar ebenso symbiotisch zusammen, wie es zusammenarbeitete – bis zu seinem seligen Ende. Am Freitag, dem 27. April, so Leibers Sprecher Jeffrey Sussman, habe Gerson, den alle nur Gus nannten, unvermittelt zu seiner Frau gesagt: »Liebling, es ist Zeit für uns beide zu gehen.« Wenige Stunden später starb er. Nur ein paar Stunden später folgte sie ihrer Lebensliebe. Auch Judith Leiber starb an Herzversagen.