Würdigung

Die Grande Dame der Kosmetik

Die Schönen und Reichen hatten es der Krakauerin Helena Rubinstein angetan. Innerhalb weniger Jahre gelingt es der jungen Emigrantin in Australien, das Fundament für ein weltumspannendes Kosmetik-Unternehmen mit rund 100 Filialen auf mehreren Kontinenten und mehr als 30.000 Mitarbeitern zu gründen.

Zu Hause fühlt sich die Beauty Queen in New York, London und Paris. Doch das Luxusleben, das sie bald auch selbst führen kann, ist schwer erarbeitet. Denn aufgewachsen ist Chaja, die spätere Helena, in eher ärmlichen Verhältnissen in Kazimierz, dem jüdischen Viertel Krakaus. Zu ihrem 150. Geburtstag widmet ihr das jüdische Museum Galicja in Krakau die Ausstellung Helena Rubinstein. First Lady of Beauty.

kazimierz »Hier haben wir mit roten Punkten die Wohnadressen der Rubinsteins eingetragen«, erklärt Ausstellungskuratorin Kinga Banasik und deutet auf eine große Wandkarte. »Chaja war die älteste Tochter. Sie wurde am 25. Dezember 1872 in Podgorze außerhalb Krakaus geboren, wuchs aber in Kazimierz auf.«

Der Erlös aus dem Verkauf von Petroleum, Eiern und anderen landwirtschaftlichen Produkten im väterlichen Laden warf zu wenig ab, um die ständig größer werdende Familie zu ernähren. Helenas Mutter Gitel verdiente zwar als Wäscherin mit, war aber fast jedes Jahr schwanger. »Uns liegen die Geburts- und teilweise auch Sterbeurkunden der 14 Kinder vor. Daher wissen wir, dass nur acht Töchter die ersten Jahre überlebten. Die Familie musste immer wieder umziehen, weil sie sich die aktuelle Wohnung nicht mehr leisten konnte«, berichtet Banasik.

In Australien beginnt ihr Aufstieg zu einer der reichsten Frauen der Welt.

»Helena Rubinstein hat gern Legenden über ihre Kindheit und Jugend erfunden«, erzählt die Kuratorin und zeigt auf drei Fotos, die in Wien aufgenommen wurden. »Zu diesen Legenden gehört nicht nur ein Medizinstudium, sondern auch die Flucht vor einer Zwangsheirat mit einem wesentlich älteren Mann, die angeblich ihr Vater für sie arrangiert hatte. Das ist sogar möglich. Doch was hat sie zwei Jahre bei der Schwester ihrer Mutter in Wien gemacht? Sie hat es nie erzählt, und wir haben nur diese drei Porträtfotos, die sie bei einem Hoffotografen hat aufnehmen lassen.« In Krakau habe sie die Schule mit 15 Jahren abgeschlossen.

mascara Banasik dreht sich um und weist auf ein Werbeplakat für wasserfeste Wimperntusche und einen Helena-Rubinstein-Mascara-Stift in einer Glasvitrine. »Sie kam immer nach Wien. Einmal hat sie einer anderen Kosmetikerin das Patent für wasserfeste Wimperntusche abgekauft und diese Mascara sehr medienwirksam auf der New Yorker Weltausstellung mit einem Wasserballett und als ›Weltneuheit‹ vorgestellt. Das wurde dann sofort ein Verkaufsschlager!«

Die Kuratorin lacht, streicht die schulterlangen blonden Haare zurück und geht in den nächsten Ausstellungsraum. »Wir sind in Australien. Hier beginnt der geradezu kometenhafte Aufstieg Rubinsteins zu einer der reichsten Frauen der Welt.«

Zwar kehrte die 24-jährige Helena aus Wien kurz nach Krakau zurück, doch nur, um sich bei der Mutter deren zusammengespartes Geld für die dreimonatige Überfahrt auf einem Passagierdampfer auszuleihen. In Sydney und Coleraine (Victoria) lebten drei Brüder der Mutter, außerdem eine Nichte, die nach ihrer Scheidung plötzlich allein mit drei Kindern dastand und die Hilfe gut gebrauchen konnte.

teint Doch dann kommt alles ganz anders. In Coloraine sorgt die makellose Haut der Europäerin für Aufsehen. Viele Australierinnen leiden unter einem sonnenverbrannten Teint und vorzeitiger Hautalterung. »Hier kommt die nächste Legende ins Spiel«, so Banasik. Angeblich habe die fürsorgliche Mutter Gitel ihrer Tochter zwölf Tiegel Creme mit auf die Reise gegeben, sodass sie in der Fremde nicht auf die gewohnte Hautpflege habe verzichten müssen.

Helena erfindet einen mit der Familie befreundeten Dr. Jakub Likuski, der die Creme für die berühmte Schauspielerin Helena Modrzejewska entwickelt habe. Von ihm will Rubinstein dann die Rezeptur bekommen haben, mit der sie die Creme »Valaze« anrühren und ab 1902 in ihrem ersten Schönheitssalon in Melbourne verkaufen konnte.

»Ohne ihren Gönner, einen australischen Chemiefabrikanten, der auch eine Glasmanufaktur besaß und ihr zur aus­tralischen Staatsbürgerschaft verhalf, hätte sie das kaum geschafft«, kommentiert Banasik. »Er half der schönen und resoluten jungen Frau mit Wissen, Geld und Kontakten weiter.« In kurzer Zeit konnte Rubinstein weitere Salons in Sydney, Wellington und Auckland eröffnen. Nach und nach holte sie ihre Schwestern und deren Ehemänner, Cousinen und Cousins, Nichten und Neffen nach und beschäftigte sie in ihrem Unternehmen.

gewinn Mit den ersten 100.000 US-Dollar Gewinn finanziert sie 1905 eine mehrmonatige Bildungsreise durch Europa. Sie will sich auf den neuesten Stand der Hautforschung und Gesichtschirurgie bringen, interessiert sich für Produktionsabläufe in der kosmetischen Industrie, für Marketingstrategien und die neuesten Trends in der Architektur, Mode und Kunst. Sie baut ein breites Kontaktnetz auf und lernt intensiv Sprachen. Allerdings scheint sie im Englischen, Französischen und Deutschen ihren harten polnischen Akzent mit jiddischen Einsprengseln als »typisch Rubinstein« regelrecht zu pflegen.

Mit Mayfair sucht sie sich 1908 eines der teuersten Stadtviertel Londons für ihren ersten Salon aus.

Kurz nach ihrer Rückkehr nach Australien bereitet sie den Sprung nach London vor. Mit Mayfair sucht sie sich 1908 eines der teuersten Stadtviertel Londons für ihren ersten Salon aus. Das Wagnis gelingt: Schon nach kurzer Zeit gehen die Damen der Londoner High Society ein und aus bei »Madame Rubinstein« und geben für Tages- und Nacht-Cremes, Foundation und Make-up, Tonic, Eau de Toilette und Parfum, Mascara, Lidstrich, Puder, Wangenrouge und Lippenstifte ein Vermögen aus.

Die von Künstlern designten Tiegel und Flacons sollen ein »Ich bin es mir wert«-Gefühl vermitteln, das den Kundinnen zusätzliches Selbstvertrauen geben soll. Denn, so das Motto Rubinsteins: »Es gibt keine hässlichen Frauen, nur nachlässige.«

In Melbourne lernt Helena Rubinstein Edward William Titus kennen, der aus Podgorze bei Krakau stammte. Als Ascher Zelig Ameisen war er im Alter von 21 Jahren in die USA ausgewandert und arbeitete bald erfolgreich als Journalist. Die beiden verlieben sich ineinander und heiraten im Sommer 1908 in London. Ein Jahr später – die 37-jährige Helena ist hochschwanger – eröffnen sie den nächsten Salon, diesmal in Paris. Wenige Jahre nach der Geburt von Roy Valentine bringt Helena den zweiten Sohn Horace zur Welt.

inszenierung Sowohl in London als auch in Paris kauft Rubinstein große Apartments, lässt sie von angesagten Innen­architekten einrichten und präsentiert sie der Presse. Die Hauptrolle in diesen Inszenierungen spielt natürlich sie selbst: perfekt geschminkt, in edlen Roben der Haute Couture, mit wertvollen Juwelen und insbesondere Perlen geschmückt und umgeben von zeitgenössischer Kunst und afrikanischen Skulpturen.

In Frankreich kauft sie eine Villa und ein großes Anwesen in Grasse, der »Welthauptstadt des Parfums«, und baut dort eine Fabrik für die Destillierung von Duftstoffen und ätherischen Ölen. Eine weitere Kosmetik-Produkte-Fabrik entsteht in Saint-Claud unweit von Paris.
»In unserem Ausstellungsaal ›Paris‹ zeigen wir ausführlich die Interieurs der zum Teil spektakulären Apartments von Helena Rubinstein, ihre beeindruckende Kunstsammlung und einige ihrer Haute-Couture-Kleider«, erzählt Banasik.

»Unser absolutes Highlight ist dieses silberne Paillettenkleid von Dior, das speziell für sie genäht wurde. Es ist das Original!« Prachtvoll schimmert es in der Vitrine. »Und hier ein Bild, wo sie in diesem Kleid für eine Homestory posiert.« Aber »Madame« habe auch die Mode ihrer Freundin Coco Chanel geliebt und die von Yves Saint Laurent und anderen Modedesignern.

kunst »Sie hat sich von rund 30 Malern und unzähligen Fotografen porträtieren lassen und diese Bilder dann auch in der eigenen Wohnung wie in den verschiedenen Salons aufgehängt«, so Banasik. Dies gilt auch für die zahlreichen gekauften Bilder und Kunstwerke zeitgenössischer Künstler. Salvador Dali verdanke ihr vielleicht nicht gerade den Durchbruch, aber doch eine gestiegene Bekanntheit. Zu ihrem Leidwesen gelang es Rubinstein nicht, auch Pablo Picasso dazu zu bewegen, ein Porträt von ihr zu malen. Zu mehr als ein paar Skizzen kam es nicht. Aber natürlich hatte sie einige seiner Werke in ihrer Sammlung.

Als in Europa der Erste und dann der Zweite Weltkrieg beginnen, zieht sich Rubinstein jeweils nach New York zurück. Bis auf eine Schwester und ihren Mann gelingt es ihr, die gesamte Familie in die USA zu holen. Auch viele jüdische Freunde und Bekannte finden Zuflucht und Arbeit in ihren Fabriken und Salons. Doch die in Krakau gebliebene Schwester Regina Kolin und ihr Mann werden in Auschwitz ermordet.

Aber auch Rubinstein selbst bleibt von Krieg und Antisemitismus nicht verschont. Im deutsch besetzten Europa werden alle ihre Salons geschlossen, in Paris bezieht ein Günstling von Hitlers Rüstungsminister Albert Speer ihre große Stadtwohnung und hinterlässt sie 1945 in verwüstetem Zustand. Als sie in New York ein Apartment an der Park Avenue mieten will, wird ihr dies verweigert, weil sie Jüdin ist. Daraufhin kauft sie das ganze Apartmenthaus und bezieht die obersten drei Stockwerke mitsamt Dachgarten.

Auch Rubinstein bleibt von Antisemitismus nicht verschont.

Trotz der geschäftlichen Erfolge muss sie auch Schicksalsschläge einstecken, die nicht spurlos an ihr vorübergehen. 1938 lässt sie sich von ihrem einst so geliebten Mann Edward William Titus scheiden. Sie hatte zu wenig Zeit für ihn und überhaupt für die kleine Familie.

scheidung Er tröstet sich mit jüngeren Geliebten und heiratet kurz nach der Scheidung Helena Rubinsteins schärfste Konkurrentin auf dem Kosmetikmarkt – Elizabeth Arden. Ihr zweiter Mann, der georgische Prinz Artchil Gourielli-Tchkonia, ist zwar mehr als 20 Jahre jünger, stirbt aber bereits 1955. Kurz darauf kommt ihr zweiter Sohn Horace bei einem tödlichen Unfall ums Leben.

Als sie selbst am 1. April 1965 im Alter von 92 Jahren in einem New Yorker Krankenhaus stirbt, verfügt sie über ein Privatvermögen von rund 100 Millionen US-Dollar. Noch zwei Tage zuvor hatte sie die neue Werbelinie für die kommenden Monate abgezeichnet. Seit 1988 gehört die Luxusmarke »Helena Rubinstein« zum L’Oréal-Konzern mit Sitz in Paris.

Die Ausstellung »Helena Rubinstein. First Lady of Beauty« im jüdischen
Museum Galicja in Krakau ist bis zum 16. April 2023 zu sehen.

Chabad

Gruppenfoto mit 6500 Rabbinern

Tausende Rabbiner haben sich in New York zu ihrer alljährlichen Konferenz getroffen. Einer von ihnen aber fehlte

 02.12.2024

Marokko

Drahtseilakt

Das Land ist Heimat der größten jüdischen Gemeinschaft in der arabischen Welt. Wie erlebt sie die Folgen des 7. Oktober 2023?

von Ralf Balke  01.12.2024

Schweiz

Säkularisierungstrend in der Schweiz - Stabile Zahlen in der jüdischen Gemeinschaft

Die Zahl religiöser Gruppen in der Schweiz sinkt. In der jüdischen Gemeinschaft sind die Zahlen konstant

 29.11.2024

Großbritannien

Über den eigenen Tod selbst bestimmen?

Ein Gesetzentwurf soll die Sterbehilfe ermöglichen. Das führt zu Diskussionen, auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  29.11.2024

USA

Junger Israeli in Memphis erschossen - Eltern vermuten Hassverbrechen

Die Polizei geht von Raubmord aus, doch die Eltern des Opfers vermuten ein anderes Motiv

 29.11.2024

USA

Frum auf High Heels

Die Influencerin Ellie Zeiler jettet um die Welt – neuerdings auch mit Siddur im Gepäck. Millionen verfolgen in den sozialen Medien, wie die junge Frau die Religion für sich entdeckt

von Nicole Dreyfus  28.11.2024 Aktualisiert

Mexiko

Präsidentin Sheinbaum droht Trump mit Reaktion auf Sonderzölle

In einem offenen Brief verteidigt Sheinbaum die von Mexiko betriebene Migrationspolitik

 27.11.2024

Dubai

Emirate melden Festnahmen im Mordfall eines Rabbiners

Israels Außenministerium spricht von einem antisemitischen Terrorakt

von Arne Bänsch  24.11.2024

Osteuropa

Mehr Schein als Sein

Länder wie Polen, Litauen oder Ungarn geben sich derzeit als besonders israelfreundlich und sicher für Juden

von Alexander Friedman  24.11.2024