Es ist der 11. November. In Köln sind die Jecken los, auf den Straßen feiern die Menschen. Auch in Polens Hauptstadt Warschau sind Tausende Menschen auf der Straße. Doch der Grund ist ein anderer.
Es ist Unabhängigkeitstag. Man erinnert an die Geburt der Zweiten Polnischen Republik im Jahr 1918. Doch seit Anfang der 90er-Jahre bietet dieser Tag auch Raum für Aufmärsche von Nationalisten und Rechtsextremisten. In diesem Jahr sind es etwa 10.000.
Fremdenhass Bisher wurden diese Märsche von der Bevölkerung weitgehend hingenommen. Rassismus, Fremdenhass und Antisemitismus waren in Polen kaum Thema der öffentlichen Diskussion. Auch die großen Parteien hielten es kaum für nötig, sich intensiv damit auseinanderzusetzen. Doch in den vergangenen Jahren hat sich ein breites Netzwerk verschiedener Organisationen gebildet, um den Nationalisten entgegenzutreten. Ihr Ziel ist es, die Gesellschaft wachzurütteln und mit auf die Straße zu holen. Zu zeigen, dass auch in Polen kein Platz für Nazis und Rechtsradikale ist.
So auch dieses Jahr. Etwa 2.000 Menschen versammelten sich: Studenten und Rentner, Antifaschisten und Politiker, Katholiken und Juden. Im vergangenen Jahr beteiligte sich auch die Jüdische Gemeinde Warschau an der Blockade. Diesmal jedoch zog sie sich aus dem Bündnis zurück. Als Grund dafür nannte sie die Teilnahme einiger Organisationen wie der Kampagne »Solidarität mit Palästina«, die sie als radikal antiisraelisch einschätzt. Man verurteile antisemitische Haltungen auf beiden Seiten der Demonstration und wolle keine Seite durch Zusammenarbeit legitimieren, so die Gemeinde.
Getrommel »Ich kann das verstehen«, meint die 22-jährige Agnieszka, die selbst Mitglied der jüdischen Jugendorganisation ZOOM ist. »Warum soll man an der Seite von Antisemiten gegen Antisemitismus demonstrieren?« Agnieszka und ihre Freunde sitzen trotzdem mit in der Blockade. Sie tragen Handschuhe und Wollmützen, um sich vor der Kälte zu schützen. Etwas enttäuscht ist die Gruppe: Vergangenes Jahr versammelten sich hier etwa 4.000 Menschen. Aber es kam zu gewaltsamen Zusammenstößen. Das sei wohl der Grund für die geringere Beteiligung, meint Jakub, der auch bei ZOOM mitarbeitet. Doch die Blockade soll Ausdruck friedlichen Protests sein. Das betonen die Redner immer wieder. »Zusammen sind wir sicher. Die Faschisten kommen nicht durch!« Einer der Redner ist Robert Biedron, der erste, offen schwule Abgeordnete im polnischen Parlament. »Polen ist nicht schwarz-weiß. Und dafür sind wir hier: Um zu zeigen, dass Polens Unabhängigkeit bunt ist«, ruft er der Menge zu. Im Hintergrund ist das Getrommel der Samba-Gruppe zu hören, Menschen tanzen.
Hooligans Dann die Nachricht: Die Nationalisten mussten ihre Route ändern. Die Menge jubelt. »Das ist ein symbolischer Sieg«, freut sich Agnieszka. Wenig später die nächste gute Nachricht: Die Polizei hat die nationalistische Versammlung für illegal erklärt. Das ist mehr, als die Blockierenden zu hoffen gewagt hatten. Doch kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den Nationalisten und der Polizei. Unter den Marschierenden befanden sich zahlreiche polnische Hooligans. Viele von ihnen sind Rechte. Die Bilanz des Tages: 40 verletzte Polizisten, 210 Verhaftete, zerschlagene Scheiben, brennende Autos, zwei ausgebrannte Fernsehübertragungswagen.
Bis tief in die Nacht werden die Nachrichten von den Zusammenstößen beherrscht. Vielleicht rütteln sie im Bewusstsein der polnischen Gesellschaft etwas auf.