Die Lokalpolitikerin und Physikerin Claudia Sheinbaum Pardo hat eine parteiinterne Abstimmung der linken Morena-Partei (Movimiento Regeneración Nacional) gewonnen. Damit wird sie aller Voraussicht nach bei der Bürgermeisterwahl in Mexiko-Stadt im kommenden Jahr als Spitzenkandidatin ihrer Partei antreten.
Das Votum gewinnt dadurch an Bedeutung, dass Morena in allen Umfragen klar führt. Sheinbaum hat also beste Chancen, die kommende Regierungschefin der Millionenmetropole zu werden.
In den vergangenen Jahren habe es in vielen Bereichen der Politik Rückschritte gegeben, kritisiert Sheinbaum und zählt die prekäre Sicherheitslage, die Mobilität, die Wasserversorgung, vor allem aber die Korruption und die ungeordnete Stadtentwicklung auf. »Es braucht große Veränderungen in der Form der Stadtverwaltung und neue Schemata der Bürgerbeteiligung«, fordert die 55-jährige studierte Physikerin nach ihrem Überraschungserfolg. Mexiko-Stadt verdiene eine ehrliche, offene und transparente Regierung. Damit meint Sheinbaum eine mögliche Regierung unter ihrer Führung. Sie wäre die zweite Frau als Regierungschefin der Millionenmetropole.
Vorfahren Sheinbaums Großvater war Jude und Kommunist. Gemeinsam mit seiner Frau kam er Anfang des 20. Jahrhunderts aus Litauen nach Mexiko – aus wirtschaftlichen und politischen Gründen, aber auch wegen des zunehmenden Antisemitismus. Die Vorfahren mütterlicherseits waren sefardische Juden aus Bulgarien, die vor dem Naziterror nach Mexiko flohen. Sheinbaums Eltern wurden in Mexiko geboren und gehörten später der 68er-Bewegung an.
Sheinbaum selbst ist seit ihren Studententagen politisch aktiv. Mitte der 80er-Jahre war sie Mitbegründerin des Universitären Studierendenrates (CEU) der UNAM und kämpfte für kostenlose öffentliche Bildung. Im Jahr 2000 holte sie der frisch gewählte Bürgermeister von Mexiko-Stadt, Andrés Manuel López Obrador, kurz AMLO, in sein Kabinett. Sheinbaum wurde dessen Umweltministerin und während der Wahlkampagne 2006 Obradors Sprecherin. Derzeit ist sie Bezirksbürgermeisterin von Tlalpan, dem größten Verwaltungsbezirk von Mexiko-Stadt.
Claudia Sheinbaum ist mit dem Soziologieprofessor Carlos Imaz Gispert verheiratet, der mehrere Bücher über lateinamerikanische Guerilleros veröffentlicht hat. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder.
Überzeugung Die umgängliche Sheinbaum gilt als nüchterne und effiziente Politikerin; sie steht für den undogmatischen, intellektuellen Flügel von Morena. »Ich bin mit der enormen Überzeugung in die Politik gegangen, dass dieses Land einen Wandel braucht, ja, etwas Besseres verdient«, sagt sie.
In der parteiinternen Abstimmung setzte sie sich Ende August gegen ihre männlichen Parteikollegen Ricardo Monreal und Martí Batres durch. Allerdings war zunächst unklar, wie, wann, wo und wer überhaupt befragt wurde. Später veröffentlichte die Parteispitze dann doch Methodik und Ergebnisse der Befragung – vor allem, um der aufkommenden Polemik zu begegnen.
»Ich akzeptiere die Regeln und erkenne das Ergebnis an«, sagte etwa der geschlagene Monreal, fügte aber vielsagend hinzu, er habe gegen die Nomenklatura der Partei kämpfen müssen. Da klang durch, Sheinbaum sei die von Parteichef AMLO präferierte Kandidatin gewesen. Eine in der Zeitung »Reforma« abgedruckte Karikatur suggerierte, AMLO habe per »dedazo«, per Fingerzeig, entschieden. Dedazo bezieht sich auf eine alte Praxis der regierenden PRI, Kandidaten per Fingerzeig zu bestimmen.
Das wies Sheinbaum gegenüber der Tageszeitung »La Jornada« zurück: »So ist es nicht gewesen, das ist nicht wahr.« Die Befragung sei nach denselben Kriterien erfolgt wie ähnliche parteiinterne Abstimmungen in der Vergangenheit. »Aber es scheint, dass uns Frauen weder die Kapazität zugetraut noch uns eigene Meriten gegönnt werden. Wenn eine Frau gewinnt, dann heißt es gleich, es sei wegen ihrer Nähe. Aber in diesem Fall haben alle Kandidaten in irgendeinem Moment ihres Lebens einmal Andrés Manuel Obrador nahegestanden – und deshalb ist es verwunderlich, dass nur bei einer Frau gesagt wird, sie habe per dedazo gewonnen.«
Umfragen Nach derzeitigen Umfragen könnte Morena-Chef Obrador im dritten Anlauf als Sieger der Präsidentschaftswahlen 2018 hervorgehen. Der 63-Jährige frühere Bürgermeister von Mexiko-Stadt (2000–2005) und unterlegene Kandidat der Linken bei den Präsidentschaftswahlen 2006 und 2012 hatte Morena im Sommer 2014 als Konsequenz aus der Wahlniederlage 2012 und seinem Austritt aus der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) gegründet.
Heute kann Morena auf eine landesweite Basis zurückgreifen und ist dabei, der PRD den Rang abzulaufen. Von Skandalen gebeutelt, kämpft die Partei mittlerweile ums politische Überleben, auch wenn sie in der Hauptstadt Mexiko-Stadt regiert. Doch mit Claudia Sheinbaum Pardo könnte auch das sich demnächst ändern.