Dominikanische Republik

Die Auskehrerin

Ilana Neumann kennt Sosúa wie ihre Westentasche. In der Stadt an der Nordküste der Dominikanischen Republik wurde sie vor 41 Jahren geboren, hier verbrachte sie ihre Kindheit, und nur zum Studium der Rechtswissenschaft kehrte sie der heute rund 10.000 Einwohner zählenden Kleinstadt vorübergehend den Rücken. Seit 100 Tagen ist Ilana Neumann jetzt für die Geschicke ihres Geburtsortes zuständig. Fünf Jahre dauert ihr Mandat als Bürgermeisterin. »Ich bin die erste Frau«, betont die Sozialdemokratin, die für die Partei der Dominikanischen Revolution (PRD) den Posten erobert hat. Und dann fügt sie nicht minder stolz hinzu, »und die erste Jüdin in diesem Amt in der Dominikanischen Republik«.

Als Neumann geboren wurde, war Sosúa noch ein beschaulicher Ort, in dem die meisten Bewohner Deutsch mit Wiener oder hessischem Akzent sprachen. 1940 hatten österreichische und deutsche Juden vor den Nazis Zuflucht in der Karibik gefunden und mit Genehmigung des dominikanischen Diktators Rafael Leónides Trujillo und finanzieller Unterstützung des American Jewish Joint Distribution Committee – kurz: Joint – eine landwirtschaftliche Siedlung gegründet. In den 60er-Jahren entstanden kleine Pensionen und Fremdenzimmer. Einen jüdischen Bürgermeister gab es dennoch nie, denn als Sosúa Stadtrecht erhielt, waren die Gründer längst eine winzige Minderheit in der Ortschaft.

Prostitution Sosúa ist die Wiege des dominikanischen Tourismus. Über mehr als zwei Jahrzehnte war Sosúa das Mekka des All-Inclusive-Tourismus. Jedes Jahr verbrachten hier Zehntausende aus den USA und Kanada sowie Europa die »schönsten Tage des Jahres« und ließen die Kassen der Hotel-, Restaurant- und Barbesitzer klingeln. Besonders bei deutschen Karibikreisenden war die Ortschaft beliebt. Aber der Andrang der Fremden entwickelte sich zur Belastung. Plötzlich hatte Sosúa den Namen »Ballermann der Karibik« weg, weil deutsche und österreichische Kampftrinker sich am Strand rekelten und die rege männliche Nachfrage die Prostitution zu einem nicht mehr zu übersehenden Schandfleck in der Stadt machte. »Meine Vorgänger haben die Zügel schleifen lassen mit dem Ergebnis, dass inzwischen Urlauberfamilien nicht mehr kommen«, sagt Neumann. Der Besucherrückgang ist dramatisch, zahlreiche Hotels und Pensionen mussten schließen. »So ging es nicht mehr weiter.«

Neumann will Sosúa wieder zu einem Urlaubszentrum machen. Das heißt für sie zuerst, den Ruf und das äußere Erscheinungsbild der Stadt zu verbessern. »Was über Jahre im Argen lag, kann ich aber nicht in ein paar Tagen regeln«, sagt sie. Die Müllabfuhr funktioniert bereits besser, Grünanlagen wurden gesäubert, das Straßenbild hat sich gebessert. Jetzt arbeitet Neumann daran, dass die Hotel-, Restaurants- und Barbesitzer Öffnungszeiten und entsprechende Auflagen respektieren. Außerdem will sie »die Prostitution zurückdrängen«.

spatenstich Drei Monate nach ihrem Amtsantritt machte die Bürgermeisterin den ersten Spatenstich für einen Park direkt oberhalb des Meeres. Die Calle Dr. Rosen, die nach einem der maßgeblichen Gründer der jüdischen Siedlung benannte Straße, endet hier. Künftig soll das Areal an die jüdischen Wurzeln von Sosúa erinnern und die jüdische Gemeinde ehren. Ein Teil wird eine Konstruktion sein, die an die Westmauer in Jerusalem erinnert. »Ich bekenne mich zu meinem Judentum, auch wenn ich die Bürgermeisterin aller Bürger bin«, betont Neumann. »Aber es ist wichtig, dass die Menschen wissen, warum es Sosúa gibt.«

Zwar leben nur noch wenige Nachfahren der Siedler im Ort, aber die Juristin will die jüdischen Wurzeln stärker in die Erinnerung auch der ausländischen Besucher rufen. Eine bereits in den 40-Jahren erbaute Synagoge dient der jüdischen Gemeinde als Zentrum. Früher amtierten hier Ilana Neumanns Großvater und später auch ihr Vater Avi als Kantoren. Heute kommt allerdings nur noch selten ein Rabbiner in das jüdische Bethaus. Ein kleines Museum erzählt die Geschichte jener Juden, die vor 70 Jahren, zur Zeit eines rassistischen Diktators, vor der Verfolgung eines antisemitischen Despoten an der Nordküste des Landes einen »sicheren Hafen in der Karibik« fanden.

»Auch wenn meine Wurzeln im jüdischen Sosúa liegen«, sagt Neumann, »will ich nicht das wiederbeleben, was längst verschwunden ist.« Sosúa soll wieder zu dem alten Touristenzentrum werden, das es in den 90er-Jahren und Anfang des neuen Jahrtausends zur Attraktion für Karibikurlauber gemacht hat. Dazu gehören, betont die Bürgermeisterin, hervorragende Hotels, guter Service, eine schmucke Stadt, aber auch die Erinnerung an die Gründergeschichte.

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