Das Rabbinat der Türkei verurteilt die Putsch-Aktivitäten»: Mit dieser Überschrift berichtet die Istanbuler jüdische Zeitung «Salom» auf ihrer Interseite über eine Erklärung, die die Vertreter der Religionsgemeinschaften in der Türkei am Tag nach dem gescheiterten Putsch veröffentlichten.
In der Stellungnahme heißt es: «Wir, die religiösen Oberhäupter der jüdischen, christlichen und muslimischen Bürger, sind sehr traurig über die terroristischen Ereignisse, die den Frieden in unserem schönen Land und auf der Welt verhindern, unseren Bürgern unerträgliches Leid zugefügt und einer Vielzahl von ihnen ihre Liebsten entrissen haben.»
ERklärung Anders als man vermuten mag, handelt es sich bei der am Samstag über türkische Medien und soziale Netzwerke verbreiteten Erklärung allerdings nicht um eine Reaktion auf den vereitelten Putsch. Das Papier soll bereits am Donnerstag vergangener Woche – also vor dem Putsch – von den religiösen Oberhäuptern unterschrieben worden sein.
Bemerkenswert ist daher, das Salom einen Zusammenhang zu den Ereignissen von Freitagnacht herstellt und, genau genommen, darüber nicht berichtet, sondern auf seiner Internetseite die interreligiöse Erklärung lediglich eins zu eins wiedergibt. Auch «Avlaremoz», eine weitere jüdische Zeitung mit Redaktionssitz in Istanbul, veröffentlichte auf ihrer Internetseite den kompletten Text – und postete mit Verweis darauf auf ihrer Facebook-Seite eine Kurzversion. Zu diesem Beitrag gibt es 21 Likes, drei Wütend-Icons und fünf Kommentare. Einer davon lautet: «azinlik.olmak.çok.zor.bu.memleketde» – «Minderheit zu sein, ist sehr schwer in dieser Heimat».
Bemerkenswert ist nicht der Kommentar an sich, sondern die Tatsache, dass jemand – offenbar nicht einmal mit einem Fake-Profil – den Mut hat, dies in der momentan sehr aufgeheizten Stimmung öffentlich zu äußern.
Symptomatisch ist die Vorgehensweise der beiden jüdischen Zeitungen. Sie halten sich absolut zurück und veröffentlichen keinen redaktionellen Beitrag zu dem vereitelten Putsch und den darauffolgenden Ereignissen im Land. Bezeichnend ist auch, dass Gesprächsanfragen, die Journalisten an jüdische Bürger des Landes richten, ins Leere laufen.
Minderheiten In der Türkei sind Angehörige von Minderheiten grundsätzlich sehr vorsichtig und halten sich in der Öffentlichkeit zurück bei Themen, die gesellschaftliche und politische Entwicklungen des Landes betreffen. In diesen Tagen sind sie ganz besonders vorsichtig.
Nur einer der angefragten Istanbuler Juden meldet sich per E-Mail zurück und berichtet von einer gespenstischen Atmosphäre, die seit dem vergangenen Wochenende im Land herrscht: «Wir wissen aus Erfahrung und aus den Erzählungen unserer Eltern und Großeltern, dass gerade, wenn die Situation instabil ist, wir Juden und andere Minderheiten zur Zielscheibe werden.» Die mit «Gott ist groß»-Rufen durch die Straßen ziehenden Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan trügen einmal mehr dazu bei, dass Juden besorgt seien, als Nicht-Muslime angefeindet zu werden.
Viele aus der jüdischen Community überlegten sich, das Land zu verlassen, schreibt der Mittdreißiger, der anonym bleiben möchte. Erschreckend sei, wie verbreitet Antisemitismus und Rassismus in der türkischen Gesellschaft auch im Sprachgebrauch seien. «Immer wieder werden Menschen, die keine AKP-Anhänger sind, selbst von ranghohen Staatsbediensteten als Gavur, Jahudi oder Ermeni (Heide, Jude oder Armenier) beschimpft.»
Nachrichten wie die, dass Unbekannte am Montag den jüdischen Oppositionspolitiker und Vize-Bürgermeister des Istanbuler Bezirks Sisli, Cemil Candas, in seinem Büro mit mehreren Kopfschüssen niedergestreckt haben, trügen bei vielen Juden zur Beunruhigung bei.
Von Türken, die auf den Prinzeninseln südlich von Istanbul Ferien machen, ist seit einigen Tagen von Anfeindungen gegenüber Juden und anderen Nicht-Muslimen zu hören. Sie würden von manchen Leuten aufgefordert, die Inseln zu verlassen.
Angriffe Auch über zwei Angriffe auf Kirchen ist man in der jüdischen Gemeinde sehr besorgt. Anfang der Woche wurde in Trabzon an der Schwarzmeerküste ein christliches Gotteshaus zur Zielscheibe einer Gruppe von Männern. Sie warfen mit Pflastersteinen die Fenster ein und versuchten, in das Gotteshaus einzudringen. Auch im osttürkischen Malatya schlugen die Täter auf Glasscheiben einer Kirche ein.
Die türkische Botschaft beim Heiligen Stuhl in Rom erklärte unterdessen, die Sorgen der Minderheiten seien unberechtigt. Die Türkei sei ein demokratischer Staat, die grundlegenden Menschenrechte seien geschützt. Hassverbrechen gegenüber Angehörigen nichtislamischer Gemeinschaften hätten sich bislang nicht ereignet, im Land herrsche zwischen allen religiösen Gruppen eine «Tradition von Friede und Harmonie», so der Verwaltungsleiter der Botschaft, Celal Dogan.
Politische Analysten hingegen bewerten die Situation ganz anders. Viele gehen davon aus, dass für ethnische und religiöse Minderheiten in der Türkei harte Zeiten anbrechen.