Immer samstags saß Anna Bartmann alleine zu Hause im rumänischen Siebenbürgen und wartete auf ihren Mann. Vom Nachmittag bis zum Abend harrte sie aus und ärgerte sich, dass sie nicht Bridge spielen konnte. Das Kartenspiel war nämlich die Ursache für ihre Misere. Ihr Mann, ein Siebenbürger Sachse, hatte seinen Jour fixe drüben in Klausenburg und traf sich da mit anderen Spielern zum Bridge. »Irgendwann sagte ich mir: Das kann nicht sein, ich will auch Bridge spielen«, erinnert sich die heute 81-Jährige. Gesagt, getan. Ihr Mann setzte sich mit ihr zusammen und brachte es ihr bei, weitere Kurse folgten. Seitdem spielt Anna Bartmann Bridge.
omi Und zwar so leidenschaftlich, dass sie gleich in mehreren Bridgevereinen Mitglied ist. In der Bridge-Sektion von Makkabi Köln ist die rüstige Seniorin diese Woche nach Wien zu den Europäischen Makkabi-Spielen gereist. Gemessen an ihrem Alter könnte Bartmann dort die Urgroßmutter der meisten anderen Teilnehmer sein. Sie sagt verschmitzt: »Es wird lustig, wenn die Jugendlichen mich anschauen und sich fragen: Was macht denn diese Omi hier?«
Wer mit Anna Bartmann spricht, merkt schnell, dass sie absolut fit ist. Sie fühlt sich wohl unter jungen Menschen, was daran liegen mag, dass sie 27 Jahre lang Lehrerin an Gymnasien in Bayern gewesen ist. »Ich hatte es mit den Jugendlichen immer sehr gut«, sagt Bartmann, »als ich in den Ruhestand ging, habe ich geweint.« Nun freut sie sich, in Wien neue, fremde und junge Menschen zu treffen, die nichts über sie wissen.
rumänien Anna Bartmanns Leben ist das einer Heimatlosen. 1930 in Rumänien geboren, kam sie 1967 zusammen mit ihrem Mann über Israel nach Deutschland. Ihr Leben hing oft an einem dünnen Faden. So war sie als Kind zweimal in Auschwitz und musste dreimal durch die Selektionen. Aus ihrer Familie überlebten den Holocaust nur sie und ihre Mutter, Vater und Bruder wurden ermordet. Die Jahre nach dem Krieg waren alles andere als leicht. Die Repressionen unter dem Ceausescu-Regime waren der endgültige Grund für eine Ausreise aus Rumänien.
Dass die Makkabi-Spiele seit 1945 zum ersten Mal auf deutschsprachigem Boden stattfinden, hat für Anna Bartmann keine besondere Bedeutung. Für sie seien die Wettkämpfe eine jüdische Sportveranstaltung, nicht mehr und nicht weniger, sagt sie. Darum sei für sie die Frage, ob die Spiele auch einmal wieder in Deutschland stattfinden könnten, eher nebensächlich.
biografie Es stimme sie traurig, dass sowohl jüdische als auch nichtjüdische Jugendliche heute oftmals sehr wenig über die Schoa und die Konzentrationslager wissen. Darum findet sie das Bildungsprogramm am Rand der Makkabiade, bei dem die Teilnehmer mit Zeitzeugen über den Holocaust sprechen können, »eine sehr gute Sache«. Sie selbst sei leider außerstande, sich daran zu beteiligen, sagt sie. Es sei ihr unmöglich, vor anderen über die schrecklichen Erlebnisse in ihrer Kindheit zu sprechen. Auch möchte sie sich nicht mehr fotografieren lassen. Um die Vergangenheit dennoch zu verarbeiten, schrieb sie nun ihre Biografie.
Nun ist Anna Bartmann mit ihrer Bridgegruppe nach Wien gereist, und sie bleibt dort für die gesamte Dauer der Spiele. Vormittags und nachmittags wird sie Bridge spielen, abends steht Kultur auf dem Programm. Neben dem eigenen Sport will sich die alte Dame auch andere Makkabi-Disziplinen wie Tennis anschauen.
turnier Im Vergleich zu den meisten anderen Sportarten gilt Bridge als eine gemütliche Angelegenheit. Anna Bartmann findet, dass sich aber auch diese Disziplin im Laufe der Jahre verändert hat. »Es ist heute viel aggressiver als früher.« Für ein Turnier trainieren, könne man nicht, glaubt Bartmann. Erfahrung sei aber sicherlich von Vorteil. Mit ihrem Spielpartner habe sie schon vor 25 Jahren trainiert und kenne sein Temperament gut. »Wenn es die Situation erfordert, halte ich den Mund«, sagt sie. Ganz wie früher, als sie zu Hause wartete und nicht wusste, wie man das Spiel mit den 13 Karten überhaupt spielt.