Er ist unkonventionell, unauffällig, bescheiden. Und man könnte ihn fast für einen seiner Studenten halten: Giorgos Antoniou ist 44 Jahre alt, wirkt in Jeans, Sweatshirt und leichtem Schuhwerk aber eher wie einer, der noch nicht vorhat, mit dem Lernen aufzuhören. Und das will er auch nicht. Im Gegenteil – der studierte Historiker hat in den vergangenen Jahren, seit man ihm den Lehrstuhl für die jüdische Geschichte Griechenlands anvertraut hat, seine Forschungen intensiviert.
Nicht ohne Grund gehören seine Seminare derzeit zu den beliebtesten der Aristoteles-Universität in Thessaloniki. Die Menge der Studierenden sprengt regelrecht den Hörsaal. Viele der Studenten sind in Thessaloniki geboren, wussten aber bis vor Kurzem nicht, dass Juden so überaus viel Geschichte in ihrer Heimatstadt geschrieben haben. Der Lehrstuhl, der erst vor zweieinhalb Jahren eingerichtet wurde, bietet viel interessanten Stoff. Zuletzt sprach Antoniou über die künstlerische Verarbeitung des Genozids in der Malerei. Griechische Schulbücher schreiben darüber nichts.
familie Giorgos Antonious Familie stammt aus der nordwestgriechischen Kleinstadt Kastoria, doch geboren wird er 1973 in Thessaloniki. Dort studiert er Geschichte und erhält später ein Promotionsstipendium vom Europa-Institut in Florenz. Paradoxerweise kommt er ausgerechnet dort zum ersten Mal in Kontakt mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde seiner Heimatstadt Thessaloniki.
Das hat mit dem Thema seiner Doktorarbeit zu tun. Antoniou beschäftigt sich darin mit der »Bildung der historischen Erinnerung des Krieges in modernen Gesellschaften«. Für Griechenland war das damals noch ein sehr junges Thema. Die 40er-Jahre haben es dem jungen Doktoranden angetan. Sehr bald erkennt er die große Notwendigkeit, den Holocaust in Griechenland wissenschaftlich zu erforschen.
Die wichtigsten Fragen sind dabei für ihn: Was hat sich in seinem Land ereignet? Und welche Folgen ergeben sich daraus für die Erinnerung – sowohl in Griechenland als auch in ganz Europa? Mit diesen Erkenntnissen und durch die Unterstützung seines Dozenten Antonis Molho, eines Thessaloniker Juden, beginnt Antoniou gemeinsam mit jüdischen Kollegen eine Reihe von Vorträgen in Thessaloniki.
Die folgenden sieben Jahre sind vom Erfolg dieser Vorträge geprägt. Giorgos Antoniou spürt, dass jetzt eine völlig neue Situation in Thessaloniki herrscht: Historische Ereignisse können offen thematisiert werden. Dennoch kommt für ihn die Entscheidung der Uni, einen Lehrstuhl für die jüdische Geschichte Griechenlands zu gründen, überraschend. Schließlich hat gerade diese Hochschule ihre eigene Geschichte mit der jüdischen Gemeinde geschrieben, die eher zweideutig gewesen ist.
Schmerz Bis heute empfinden es viele Thessaloniker Juden als sehr schmerzlich, dass die Universität nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Resten des alten jüdischen Friedhofs Erweiterungsgebäude errichten ließ. »Sie war es der jüdischen Gemeinde allein aus diesem Grund schuldig, einen solchen Lehrstuhl zu gründen«, erklärt Antoniou und kann es immer noch nicht glauben, dass man vor knapp drei Jahren ausgerechnet ihm als einzigem Dozenten die Professur angeboten hat.
»Ich stamme nicht aus einer jüdischen Familie, und ich habe erst während des Studiums über die Geschichte meiner jüdischen Landsleute erfahren. Ich kann doch nur als Außenstehender darüber berichten«, erklärt er bescheiden. Doch der Erfolg seiner Arbeit beweist, dass man mit ihm als Dozenten eine gute Wahl getroffen hat.
Noch ist Giorgos Antoniou der einzige Lehrer für jüdische Geschichte an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki. Doch wenn seine Seminare und Vorlesungen auch künftig so stark besucht werden, hofft er, dass weitere Fachkräfte eingestellt werden können. Sein Erfolg hat immerhin dazu geführt, dass der Lehrstuhl seit diesem Jahr vom Staat finanziell gefördert wird.
studenten Genugtuung, Glück und Freude empfindet Antoniou, wenn er merkt, wie wichtig sein Fach für die Studenten geworden ist. »Die jungen Menschen sollen erkennen, welche Bedeutung das Judentum für die Geschichte Griechenlands, unserer Stadt und auch für die jüdische Geschichte gespielt hat. Meine Bemühungen tragen nicht sofort Früchte, aber mir scheint ein guter Anfang gelungen zu sein.«
Antoniou muss sich gegen Antisemitismus zur Wehr setzen.
Mitunter muss sich Giorgos Antoniou gegen antisemitische Haltungen zur Wehr setzen. Anfangs wurden ihm gegenüber judenfeindliche Bemerkungen gemacht, und er erhielt bedrohliche Telefonanrufe. Doch inzwischen habe sich das Klima verbessert, betont er.
In seiner Heimatstadt Thessaloniki gibt es in den kommenden Jahren viel zu tun in Sachen jüdischer Geschichte. »Wir müssen mehr dafür unternehmen, die Opfer zu ehren. Ich setze meine ganze Hoffnung in das geplante Holocaust-Museum und in die Erziehung der jungen Leute.« Dann, glaubt Antoniou, könnte es eines Tages tatsächlich so weit sein, dass die Zukunft der Stadt »von einer neuen jüdischen Geschichte geprägt sein wird«.