Frankreich

Der Spalter

Stand schon mehrmals wegen Aufstachelung zum Rassenhass und Ehrverletzung vor Gericht – doch die Prozesse brachten ihm Publicity ein: Éric Zemmour Foto: picture alliance/dpa/MAXPPP

Er ist die dunkle Gestalt des nahenden französischen Wahlkampfs: Zorro-Zemmour, Rächer der Armen oder Totengräber der Republik? Für die einen ist Éric Zemmour der schlimmste Feind Frankreichs, für die anderen »l’homme providentiel«, eine Lichtgestalt, die über das Schicksal eines von Krisen geschüttelten Landes entscheiden könnte.

In den Umfragen zu den Präsidentschaftswahlen steht er auf Platz zwei direkt hinter Emmanuel Macron, dem amtierenden französischen Präsidenten. Seine rechte Konkurrentin Marine Le Pen scheint er in der öffentlichen Gunst mühelos zu verdrängen.

äusserungen Zemmour übertrifft Le Pen an polemischen und radikalen Äußerungen. Er wettert gegen den Islam, die Linke, Feministinnen, die Eliten: Sie hätten sich die Vernichtung Frankreichs auf die Fahnen geschrieben. Einzig ein katholisches Frankreich, ein sich seiner Geschichte, seiner Grenzen und seiner Identität bewusstes Frankreich garantiere das Überleben.

Ein katholisches Frankreich? Ein befremdlicher Slogan aus dem Munde eines jüdischen Mannes. In der Allianz mit dem Katholizismus aber sieht Zemmour die Chance auf ein Bollwerk gegen den Islam, der den Untergang der Nation bedeute.

Mit dieser Haltung zieht sich Zemmour nicht nur die Feindschaft der französischen Linken, sondern auch harsche Kritik vieler Juden zu. Für den Philosophen und Journalisten Raphaël Enthoven ist Zemmour ein Feind, wie ihn sich die antirassistische, islamfreundliche Linke nicht schlimmer vorstellen könnte: »Sein Diskurs rechtfertigt deren Exzesse, die wiederum sein Publikum vergrößern. Auf diese Weise versucht man die Republik zu ersticken.«

Zemmour übertrifft Marine Le Pen an polemischen und radikalen Äußerungen.

Enthoven gehört den universalistisch geprägten Kritikern Zemmours an. Auch der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy liefert sich mediale Gefechte mit dem möglichen, aber noch nicht erklärten Präsidentschaftskandidaten. Zemmour fegt Einwände rabaukig vom Tisch. Er geriert sich als Vertreter des Volkes, der Ungehörten, derer, die hinter vorgehaltener Hand flüstern, was er zu sagen wagt. Lévy beschimpft er als Verräter und den »größten Produzenten von Antisemitismus«.

unterstützung Zemmour, der für den konservativen »Figaro«, als freier Journalist aber auch für die kommunistische Zeitung »Marianne« tätig war, erhält dabei Unterstützung von Patrick Drahis pro-israelischem Sender i24 News und Elisabeth Lévys Magazin »Le Causeur«.

Zemmour spaltet nicht nur die französische Zivilgesellschaft, sondern auch die jüdische Gemeinde. Etliche sefardische Juden unterstützen ihn. Sie fühlen sich bedroht in ihrer Lebensweise: Orientalische Tänze auf Barmizwa-Feiern gelten als kulturelle Aneignung. Und auch Gilles-William Goldnadel, ein franko-israelischer Anwalt und Kolumnist, verteidigt Zémmour und dessen »patriotischen Widerstand«.

Francis Kalifat hingegen, der Präsident der französisch-jüdischen Dachorganisation CRIF (Conseil Représentatif des Institutions Juives de France), ruft dazu auf, Zemmour nicht eine einzige Stimme zu geben. Frankreichs Oberrabbiner Haïm Korsia nannte ihn vor einigen Tagen in einem Interview mit France 2 gar einen Antisemiten. Zemmour stellt Frankreich und die jüdische Gemeinde auf den Prüfstand.

Biografie Die Herkunft, von der in diesen Tagen so viel die Rede ist, die Herkunft, mit der Denken und Handeln sowie ganze Lebenswege erklärt werden, spielt auch bei Éric Zemmour eine entscheidende Rolle. Geboren 1958 in Montreuil, stammt er aus einer jüdisch-algerischen Familie, die 1952 nach Frankreich ausgewandert ist. Ungern bezeichnet er sich als »arabischen Juden« – er bevorzugt stattdessen die Bezeichnung »berberischer Jude«. Obschon algerische Juden seit dem Décret Crémieux französische Staatsbürger sind, gilt dieses Statut der Familie nicht als Selbstverständlichkeit.

Im Oktober 1940 hatte das Vichy-Régime unter Marschall Philippe Pétain den algerischen Juden die Staatsbürgerschaft aberkannt. Die Sorge, die Rechte verlieren zu können, bleibt, zumal beim »petit peuple«, dem »kleinen Volk«, wie man in Frankreich zu sagen pflegt.

In den Umfragen zu den Präsidentschaftswahlen steht er auf Platz zwei direkt hinter Emmanuel Macron.

Von Kindesbeinen an war Éric Zemmour mit den Herausforderungen der Assimilation vertraut. Sein Vater Roger war Sanitäter, die Mutter Lucette Lévy Hausfrau. Die Eltern gaben ihm französische Vornamen: Éric Justin Léon. Im französischen Schulsystem erfährt er, was Laizismus bedeutet, sein religiöser Name in der jüdischen Gemeinde aber lautet Moïse. Diese Doppelprägung ist charakteristisch für Zemmour.

Jahrzehnte später wird er als Politiker französische Vornamen für Einwanderer fordern – ein abwegiges Unterfangen. Für ihn ein symbolischer Akt: die Bindung an die französische Nation. Er wird als Kind in der jüdischen Tradition erzogen und besucht die Synagoge (bis zum Tod seines Vaters 2013). Gleichzeitig versucht er, in der französischen Gesellschaft einen ihm angemessenen Platz zu finden. Keine Selbstverständlichkeit, sich in Schule und Studium im Kreis der alten Eliten zu behaupten. Er spielt Tennis und Fußball und schult den Kampfgeist, dessen er sich im französischen Fernsehen rühmt: »Falls ich kandidiere, dann um zu gewinnen.«

FAmilie Begleitet wird er in diesem politischen Parcoursritt von seiner ebenfalls sefardischen Ehefrau Mylène Chichportich. Seit fast 40 Jahren sind die beiden ein Paar. Zwei Söhne und eine Tochter sind aus der Verbindung hervorgegangen. Chichportich ist Anwältin für Wirtschaftsrecht, spezialisiert auf Insolvenzrecht. Ihre Kanzlei liegt nahe am Zentrum der Macht, dem Élysée. Eine karrierebewusste Frau mag nicht so recht passen in das Bild, das Zemmour mit seinen misogynen Äußerungen in der Öffentlichkeit vermittelt.

Ein unüberlegter Provokateur ist Zemmour nicht. Die Ausfälle, Beleidigungen und Herablassungen des Absolventen des renommierten Institut d’Études Politiques de Paris sind kalkuliert. Das hat ihn zwar schon einige Male vor Gericht gebracht wegen Aufstachelung zum Rassenhass und Ehrverletzung, doch brachten ihm die Prozesse auch Publicity ein.

Bestätigt sieht er sich durch Umfragen: 70 Prozent der Franzosen seien mit seiner spaltenden und schockierenden Wortwahl einverstanden, entgegnet er Kritikern. Strategisches Denken entwickelte Zemmour auch durch die Lektüre Niccolò Machiavellis: Leichtsinnig, verweichlicht, kleinherzig und unentschlossen – diese Eigenschaften kann sich weder ein Principe noch ein Éric Zemmour leisten.

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