Ein glücklicher Achter. Das ist Steven Solomon, Australiens einziger jüdischer Leichtathlet bei den Spielen in London und am Montag sensationell im Finale über 400 Meter, wo er auf Platz acht einlief. »Ich bin wirklich, wirklich glücklich«, sagte der 19-Jährige aus Sydney australischen Reportern nach dem Finale. »Jemand muss ja der Letzte in einem Rennen sein, und leider war ich das heute«, japste er. »Ich werde nach diesen Spielen mit erhobenem Haupt gehen können.«
An Steven Solomon ist einiges bemerkenswert. Erst seit zweieinhalb Jahren betreibt er die Leichtathletik als ernsthaften Sport. 2009 war er bei der Makkabiade in Israel noch der Kapitän des australischen Fußballteams. Auch Rugby hat er erfolgreich gespielt. Im vergangenen Jahr wurde er von Maccabi NSW, der jüdischen Sportorganisation für New South Wales, zum »Sportsman of the Year« gewählt.
Michael Vasin von Maccabi in Sydney ist bekennender Fan von Solomon: »Wir haben eine Berühmtheit in unserer Mitte«. Barry Smorgon, Vorsitzender von Maccabi Australia, hofft, dass Solomon trotz seiner Olympia-Erfolge auch künftig bei Makkabi-Spielen antritt. Und Harry Procel, ein australischer Makkabiade-Veteran, ist extra nach London gereist, um Solomon zu sehen. »Er ist ein wunderbarer Sportler«, schwärmt Procel, »und die Tatsache, dass er jüdisch ist, hebt ihn besonders heraus.«
Problem Oder es macht Solomon sein Leben als Leistungssportler schwerer. Kurz nach Pessach, vor den australischen Meisterschaften, als es immerhin um die Qualifikation für die Olympischen Spiele ging, wandte sich Solomon mit einem Problem an Rabbi Levi Wolff. Der Chabbad-Rabbiner von Sydneys größter orthodoxer Gemeinde wunderte sich, als der junge Mann, den er nicht kannte und der von sich sagte, er sei gar nicht religiös, sein Problem vortrug.
Seine Trainer hätten ihn wegen seiner Weigerung, Chametz zu essen, für verrückt erklärt. Der Rabbiner erzählt: »Als ich Steven fragte, ob Mazza als Kohlenhydrate gilt, lachte er mich aus und sagte: ›Damit können Sie nicht mal auf die Toilette laufen, geschweige denn ein Rennen‹.«
Pessach Doch Rabbi Wolff arbeitete sich in das Thema ein. Er fragte Solomon, ob Reis okay sei. Der Sportler antwortete, es sei nicht ideal, aber könnte vielleicht genügen. So erklärte Wolff dem jungen Mann, dass er zu Pessach Reis essen dürfe, damit sein Kohlehydratbedarf gedeckt würde.
Solomon aß und lief – und wurde Zweiter. Besser war nur John Steffensen, zehn Jahre älter, Sieger bei den Commonwealth-Spielen und afrikanischer Herkunft. Dennoch wurde Steffensen nicht für Olympia gemeldet, die australischen Trainer vertrauten der Jugend. Der nicht nominierte Steffensen beschwerte sich: »Mir würde es nur helfen, wenn ich eine andere Hautfarbe hätte.«
Solomon war also ohne sein Zutun in den Mittelpunkt eines Rassismusskandals gekommen. Steffensen, der für die 4 x 400-Meter-Staffel gebraucht wurde, drohte mit Boykott. Letztlich reiste Steffensen doch zu den Spielen an. Dass Solomon als einziger australischer Einzelläufer antrat, erwies sich als nicht falsch: Schließlich kam er sensationell ins Finale.
Chemie »Wir haben uns gegenseitig aufgebaut«, sagt Solomon über sein Verhältnis zu Steffensen. »Wir sollten für eine gute Chemie im Staffelteam sorgen und zusammenkommen.« Ob es geklappt hat, stand bei Redaktionsschluss nicht fest. Das Finale der 4 x 400-Meter-Staffel der Männer, bei dem beide antreten, findet erst am Freitag statt.
Betreut wird Solomon von seiner Trainerin Fira Dvoskina, einer 77-Jährigen, die vor 16 Jahren als Rentnerin aus der Ukraine nach Australien einwanderte. Da ihr Mann erkrankt ist, trainiert sie Solomon in London nur via Skype. Aber den stört das nicht. Er ist hungrig auf weitere Erfolge. »Es ist, wie wenn du ein Stück vom Kuchen bekommst«, erklärt er. »Dann willst du immer auch den Rest.«
Solomons Zukunft steht fest. Er hat ein Stipendium an der Stanford University in Kalifornien für ein Medizinstudium und will, wie sein Vater, Arzt werden. Vor allem aber trainiert er im College-Sport mit anderen Weltklasseläufern.