Griechenland

Der Pfizer-Chef

Albert Bourla zu Besuch bei Pfizer Kalamazoo Manufacturing in Portage, Michigan (Februar 2021) Foto: AFP via Getty Images

Seit einigen Monaten sind die beiden Namen der Impfstoffproduzenten in aller Munde: BioNTech und Pfizer. In Deutschland wurde die Erfolgsgeschichte rund um das Corona-Vakzin mit den BioNTech-Gründern Ugur Sahin und Özlem Türeci vor dem Hintergrund ihrer Einwanderung und Integration thematisiert. Aufseiten von Pfizer ist der 59-jährige Geschäftsmann und Tierarzt Albert Bourla verantwortlich für den mit dem deutschen Biotech-Unternehmen entwickelten Corona-Impfstoff. Der jüdische Grieche ist CEO des in New York ansässigen Pharmakonzerns.

Albert Bourla wurde 1961 in Thessaloniki als Kind zweier Schoa-Überlebender geboren. Die große jüdische Gemeinde der griechischen Hafenstadt zählte 1940 mehr als 55.000 Mitglieder, nach dem Holocaust waren es kaum mehr 2000.

REttung Bourlas Mutter stand bereits vor einem Erschießungskommando – doch ihrem nichtjüdischen Schwager gelang es, sie bei Max Merten, dem Wehrmachtsbefehlshaber von Saloniki, freizukaufen. Der beherzte Schwager nahm allen Mut zusammen, sprach bei Merten persönlich vor und rettete damit seine Schwägerin Sara buchstäblich in letzter Minute.

Ihr Sohn Albert Bourla betont in Reden und Stellungnahmen, dass seine Mutter nie das Geräusch der Schüsse vergessen konnte, die ihre Mitgefangenen ermordeten.

Wenige Wochen nach der Rettung zogen die Deutschen aus Griechenland ab. Nur Sara und ihre zum Christentum übergetretene ältere Schwester überlebten. Die anderen Familienmitglieder wurden in Auschwitz ermordet.

Weil ihm Griechenland zu klein wurde, ging er 2001 nach New York.

Bourlas Vater war zusammen mit seinem Bruder zufällig nicht im Ghetto, als am 15. März 1943 der erste Zug nach Auschwitz abfuhr. Er überlebte unter falscher Identität im Untergrund. Genauso wie seine spätere Frau sah auch er seine Eltern nie wieder.

familiengeschichte »Viele der Überlebenden haben ihren Kindern nie von den Schrecken, die sie erdulden mussten, erzählt, weil es so sehr schmerzte. In meiner Familie wurde hingegen viel darüber gesprochen«, lautet eines der Zitate von Bourla über die Familiengeschichte.

Seine Eltern lehrten ihn, nicht zu hassen. Wie schwer es ist, nicht zu hassen, lässt sich kaum erahnen. Die wenigen Bourlas, die überlebten, fanden sich nach dem Krieg, all ihrer Habe beraubt, mittellos in Thessaloniki wieder.

Merten, der »Schlächter von Thessaloniki«, wurde 1957 in Griechenland verhaftet. Er kam jedoch auf Druck der deutschen Bundesregierung unter Konrad Adenauer nach rund 30 Monaten aus griechischer Haft frei und wurde vom deutschen Staat für die in Griechenland abgeleistete Haftdauer entschädigt.

SPANIEN Bourlas Vorfahren stammen aus Spanien. Nach dem Alhambra-Edikt mussten sie Ende des 15. Jahrhunderts die Iberische Halbinsel verlassen und flohen ins Osmanische Reich. In Thessaloniki gab es eine prosperierende jüdische Gemeinde, die als »Madre de Israel« (Mutter Israels) bekannt war. 1912 wurde die Stadt von der osmanischen Herrschaft befreit und in den griechischen Staat eingegliedert.

Auch diese Geschichte erzählt Bourla bei Anlässen wie dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Nicht zu hassen ist für ihn untrennbar mit dem Gebot, nicht zu vergessen, verbunden.

Erinnern heißt für ihn auch, dass er bewusst Jude und Grieche ist. So wurde er vor zwei Wochen, am Jom Haazmaut, dem israelischen Unabhängigkeitstag, zur Feierstunde in der Knesset zugeschaltet. Drei Wochen zuvor, am 25. März, hatte er den griechischen Unabhängigkeitstag sowie den Beginn des Freiheitskampfes gegen die Osmanen vor 200 Jahren gefeiert. Und das, obwohl es damals seitens der Revolutionäre auch Pogrome gegen Juden gab.

Bourlas herausragende Rolle in der Pandemie hat viele Griechen dazu angeregt, sich mit der jüdischen Geschichte des Landes zu beschäftigen.

Bourlas herausragende Rolle in der Pandemie hat viele Griechen dazu angeregt, sich mit der jüdischen Geschichte des Landes zu beschäftigen. Doch schwingt im latenten Alltagsantisemitismus häufig die Frage mit, wie griechisch die jüdischen Griechen eigentlich seien.

Auch hier liefert der Hype um Bourla Antworten. Denn plötzlich erinnert man sich an die Ouzo-Flaschen aus dem Hause Bourla. Der Onkel des Pfizer-Chefs produzierte vor der Schoa in Thessaloniki koscheren Ouzo, die hellenische Nationalspirituose, und vertrieb sie unter eigenem Label.

BIOTECHNOLOGIE Albert Bourla studierte in seiner Geburtsstadt Tiermedizin. Dort wurde er auch promoviert und spezialisierte sich auf Biotechnologie. In Thessaloniki verliebte er sich in seine Frau, wie er gern erzählt. Und 1993 fand er einen Job als technischer Direktor von Animal Health Pfizer – Hellas.

Doch Griechenland wurde schnell zu klein für seine Ambitionen und Visionen. So zog es ihn 2001 nach New York, wo er U.S. Group Marketing Director for Animal Health wurde. Unaufhaltsam stieg er die Karriereleiter hinauf, bis er im Januar 2019 CEO von Pfizer wurde – um als federführender Firmenlenker die Entwicklung des Corona-Vakzins voranzutreiben.

Nicht zu vergessen heißt für Bourla auch, dass er anderen bessere Entwicklungsmöglichkeiten bieten möchte. So bescherte er Griechenland und seiner Heimatstadt ein Forschungszentrum, in dem 200 Wissenschaftler einen Arbeitsplatz und Perspektiven finden können. Sein Haus auf der Halbinsel Chalkidiki bei Thessaloniki besucht er, so oft es geht, um sich zu erholen. Sein Lieblingsfußballteam, Aris FC aus Thessaloniki, schickte ihm ein Trikot mit seinem Namen und der Nummer 1. Dem griechischen Staatsfernsehen ERT sagte Bourla, dass er in acht Staaten gelebt und gearbeitet habe. Seinen Charakter jedoch habe die Aristoteles-Universität von Thessaloniki geprägt.

Er bleibt seinen Wurzeln verbunden, den griechischen und den jüdischen. Israels Impferfolge sind eng mit Bourla verbunden. Mit seiner typisch entwaffnenden Natürlichkeit hat Bourla erzählt, wie ihn Premierminister Benjamin Netanjahu mit 30 Telefonaten, sogar um drei Uhr nachts, nervte und letztlich davon überzeugte, Israel zur Case Study für die Vakzine zu machen.

BESCHEIDENHEIT Bourla selbst und seine Frau wurden am 9. März in New York geimpft. Sie hatten abgewartet, bis sie an der Reihe waren. Er hätte sich gern als einer der Ersten impfen lassen, um die Mitmenschen von der Ungefährlichkeit des Vakzins zu überzeugen, sagte er dem amerikanischen Nachrichtensender CNBC. »Doch da wir nur eine begrenzte Anzahl von Dosen haben, war ich mir nicht sicher, ob es eine gute Idee für jemanden in meinem Alter und Beruf wäre, sich impfen zu lassen.«

Beim Impfen wartete Bourla ab, bis er an der Reihe war.

Auch für Bourlas Schwiegervater Isaak Alchanatis gab es keine Extrawurst. Der 84-jährige Hochrisikopatient wartete in Griechenland geduldig auf seinen vom Staat vergebenen Impftermin.

Bei all seinen Erfolgen ist Albert Bourla also ein bescheidener Mann geblieben. Als ihn die italienische Tageszeitung »Corriere della Sera« für ein Porträt interviewte, betonte er: »Ich bin nicht Zorbas, aber ein realer Grieche.«

Alexis Zorbas, der literarische Held des berühmten griechischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis, hatte ein reales Vorbild: einen Mann, der wie kaum ein anderer den Balkan in sich vereinigte, der in Griechenland lebte und in Jugoslawien starb. Albert Bourla hätte für Kazantzakis vielleicht eine geeignete Symbolfigur abgegeben für die Einheit zweier seit der Antike nebeneinander existierende Kulturen: das Judentum und den Hellenismus.

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