Mindestens 1000 Jahre jüdischen Lebens in Afghanistan sind seit Anfang dieser Woche offiziell vorüber. Medienberichten zufolge ist Zebulon Simentov – der als der »letzte Jude Afghanistans« in den vergangenen Monaten für Schlagzeilen sorgte – nun doch außer Landes gebracht worden.
EVAKUIERUNG Der israelisch-amerikanische Geschäftsmann Moti Kahana sagte der amerikanischen Nachrichtenagentur »Associated Press« (AP) am Mittwoch, der 62-Jährige und 29 seiner Nachbarn seien in ein Nachbarland gebracht worden seien. Der israelische TV-Sender »Kan« zeigte Videomaterial von der Evakuierung, auf denen Simentov inmitten eines Busses voller Menschen zu sehen ist.
Kahana sagte AP, Simentov habe sich nicht vor den Taliban gefürchtet, sei aber von ihm vor möglichen Anschlägen der noch radikaleren Terrorgruppe »Islamischer Staat« gewarnt worden. Auch seine Nachbarn hätten ihn gedrängt, das Land schnellstmöglich zu verlassen. Vor einigen Wochen noch hatte er es trotz der Machtübernahme der Taliban in der Hauptstadt abgelehnt, das Land zu verlassen.
Simentov lebte zuletzt in einem verfallenen Gebäude, das auch Kabuls letzte Synagoge beherbergte. Das 1966 erbaute Gotteshaus war das einzige in Afghanistan, das den Wirren und Bürgerkriege der vergangenen Jahrzehnte getrotzt hatte. Simentov selbst stammt aus der Stadt Herat, einst das Zentrum des jüdischen Lebens des Landes.
SCHEIDEBRIEF Seinen Schmuck- und Teppichhandel musste Simentov bereits 2001 aufgeben. Um über die Runden zu kommen, betrieb er zeitweise ein Kebab-Restaurant in der Synagoge und lebte von Zuwendungen jüdischer Organisationen im Ausland. Auch die zahlreichen Interviews mit ausländischen Medien ließ er sich der Nachrichtenagentur AP zufolge bezahlen.
Seine aus Tadschikistan stammende Noch-Ehefrau und die gemeinsamen Kinder sind bereits seit vielen Jahren in Israel. Simentov blieb offenbar auch deshalb in Afghanistan, weil er seiner Frau den nach dem jüdischen Recht vorgesehenen Scheidebrief (Get) verweigerte – ein Verhalten, das in Israel rechtliche Konsequenzen für ihn nach sich ziehen hätte können. Moti Kahana sagte AP, Simentov habe nach intensivem Drängen seinerseits in die Scheidung eingewilligt und die entsprechenden Papiere ausgefüllt. Ziel seiner Unterstützer ist es offenbar, seine Auswanderung in die USA zu ermöglichen.
ANGST Er habe es geschafft, jahrelang die Synagoge von Kabul zu beschützen, hatte Zebulon Simentov Anfang April der saudischen Tageszeitung »Arab News« mitgeteilt. »Wie ein Löwe« habe er sich gegen die Mudschaheddin und die Taliban gestellt, fügte Simentov damals an. Schon vor der erneuten Machtübernahme der Taliban verließ er das Gebäude nur noch selten, weil er die zunehmende Kriminalität und Bombenanschläge fürchtete.
Es ist unklar, seit wann es jüdisches Leben in Afghanistan gibt. Simentov vermutete, dass schon in der Zeit des babylonischen Exils vor 2500 Jahren Juden dort ansässig waren. Historisch belegt ist dagegen, dass es im 12. Jahrhundert bereits eine Gemeinschaft von mehreren Zehntausend Juden am Hindukusch gab.
In den 40er- und 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts kam es aber zu einer großen Auswanderungswelle – wegen des aufkommenden Antisemitismus im Land. Und schon während der ersten Herrschaft der Taliban bis 2001 gab es nur noch zwei im Land selbst lebende Juden: Simentov und Isaak Levi.
ZWIST Beide kümmerten sich um die Synagoge, konnten sich aber gegenseitig nicht ausstehen. Nach dem Verschwinden einer Torarolle Ende der 90er-Jahre beschuldigten sie sich gegenseitig des Diebstahls, was ihnen die zeitweise Inhaftierung und Folter durch die Taliban einbrachte. Die Schriftrolle ist seitdem nicht wieder aufgetaucht. Simentov beschuldigte Levi im Gegenzug, er vermietete Zimmer an Prostituierte.
Als Levi 2005 starb, geriet »der letzte Jude Afghanistans« sogar in Verdacht, ihn umgebracht zu haben, was aber durch eine Autopsie des Leichnams entkräftet werden konnte. Der lang anhaltende Zwist zwischen Simentov und Levi lieferte sogar die Vorlage für ein Theaterstück: »The Last Two Jews of Kabul« wurde 2002 in New York uraufgeführt.