Für Musa Burlakowa, Ljudmila Jagdanowa und Tatjana Schapiro war »Treffpunkt Dialog« ein Glücksfall: Die drei Petersburger Frauen, alle zwischen 75 und 80 Jahre alt, nahmen am Förderprogramm zur gesellschaftlichen Anerkennung von NS-Opfern in Osteuropa teil, das die deutsche Stiftung »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« gemeinsam mit der staatlichen russischen Stiftung »Verständigung und Aussöhnung« seit 2009 in Sankt Petersburg, Rostow am Don, Perm und Brjansk durchgeführt hat. Bei regelmäßigen Treffen erzählten die drei Frauen russischen Jugendlichen von ihren Erlebnissen aus der Zeit der Blockade Leningrads durch die deutsche Wehrmacht. Mittlerweile gibt es die Kindheitserinnerungen sogar als Buch mit dem Titel Mein St. Petersburg.
Jagdanowa trug so viele Fotos und Dokumente zusammen, dass daraus eine ständige Ausstellung im »Haus der Jugend« auf der Wassili-Insel eingerichtet werden konnte. Und Schapiro, deren Vater federführend an der bekanntesten sowjetischen Aschenputtel-Verfilmung mitwirkte, organisiert bis heute gemeinsam mit dem Produktionsunternehmen Lenfilm Filmvorführungen in der Puschkin-Bibliothek.
Rückschlag »Das Förderprogramm war ein starker Impuls für die alten Menschen, sich kreativ am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen«, sagt Nadjeschda Jegorowa vom Petersburger Zentrum »Vertrauen«, das als lokaler Partner Projekte im Rahmen von »Treffpunkt Dialog« umsetzte. Dass die russische Regierung die Zusammenarbeit mit der deutschen Stiftung und dem Förderprogramm jetzt einstellt, hält Jegorowa für einen großen Rückschlag.
Ende Januar teilte die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« auf ihrer Website mit, dass der russische Partner, die Stiftung »Verständigung und Aussöhnung«, gezwungen sei, das Moskauer Büro zum 1. Februar zu schließen. Grund: Russlands Regierung habe der staatlichen Stiftung das Budget nicht mehr zur Verfügung gestellt. In der Folge erhielten die Mitarbeiter über Monate keine Gehälter mehr, die Büromiete konnte nicht gezahlt werden.
Franka Kühn, Pressesprecherin bei »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« in Berlin kann das Vorgehen der Regierung nicht nachvollziehen. »Erst kürzlich, bei der Veranstaltung ›Petersburger Dialog‹, hat sich Russlands Vizepremier Alexander Schukow für die Fortsetzung des Programms ausgesprochen«, sagt Kühn. Doch wenig später habe er sich an seine eigenen Worte nicht mehr erinnern wollen. In zahlreichen Gesprächen, unter anderem mit dem russischen Botschafter in Berlin, setzte sich »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« für die Fortsetzung der Arbeit ein. Erfolglos. Eine offizielle Begründung für den Entschluss der Regierung liegt bis heute nicht vor.
Lenkungsproblem Sergej Truchatschow, Vorstand von »Verständigung und Aussöhnung«, glaubt, dass die Zusammenarbeit an der Bürokratie gescheitert ist. »Unsere Stiftung war keinem Ministerium eindeutig zugeordnet. Das war ein bürokratisches und ein Lenkungsproblem«, so Truchatschow.
Auf einer Arbeitssitzung am 7. Februar habe Schukow jetzt angedeutet, dass womöglich der Nationale Wohltätigkeitsfonds, eine Stiftung für die Unterstützung von Mitgliedern der Streitkräfte, die Nachfolge von »Verständigung und Aussöhnung« antreten werde – allerdings ohne deutschen Partner. Einen ideologischen Hintergrund, sagt Truchatschow, habe die Entscheidung nicht – so wie im Herbst 2006, als die Regierung das Vereinsrecht kurzfristig änderte und zahlreiche ausländische Nichtregierungsorganisationen (NGO) ihre Arbeit einstellen mussten. Laut Medienberichten wollten die Verantwortlichen die Finanzierung politischer Aktivitäten in Russland durch ausländische Organisationen beenden. Zuvor hatte der russische Geheimdienst FSB ausländische NGO der Spionage verdächtigt.
Nadjeschda Jegorowa vom Petersburger Zentrum »Vertrauen« bedauert das Ende der Zusammenarbeit zwischen der russischen und der deutschen Stiftung. »Die Kooperation lief sehr gut« sagt sie. »Auch menschlich hat alles gestimmt. Und gerade der menschliche Faktor entscheidet in Russland sehr oft darüber, ob ein Vorhaben erfolgreich ist oder nicht.«