Diesmal stand er selbst nicht zur Wahl. Und obwohl er keiner der großen Parteien des Linksbündnisses Nouveau Front Populaire (NFP) angehört, war Raphaël Glucksmann eines der Gesichter, das die Franzosen am Wahlsonntag häufiger in den Fernsehstudios zu sehen bekamen.
Seit 2019 ist der 44-Jährige Mitglied des EU-Parlaments. Zuvor hatte sich der Journalist politisch eher am Rande engagiert. Der Sohn des jüdischen Philosophen André Glucksmann (1937–2015) war in jüngeren Jahren vor allem in Afrika unterwegs, arbeitete für die Zeitung »Le Soir d’Algérie«, drehte in Krisenregionen Dokumentarfilme für das französische Fernsehen, publizierte Bücher, führte eine Werbeagentur und beriet Politiker wie den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili.
Seine 2018 erschienene Streitschrift »Die Politik sind wir!«, in der er für weniger Individualismus und mehr Gemeinwohl plädiert, wurde zum Bestseller und trug ihm Preise ein. In erster Ehe war Glucksmann mit einer georgischen Politikerin verheiratet, die 2007 als Justizministerin zurücktreten musste. Seit einigen Jahren ist er mit der französischen Journalistin Léa Salamé liiert, Tochter einer Armenierin und eines christlichen Politikers aus dem Libanon, ihrerseits praktizierende Katholikin.
Glucksmann könnte versuchen, Macron zu beerben
Bei der Europawahl am 9. Juni war Glucksmann wie schon 2019 Spitzenkandidat des Bündnisses der gemäßigten Linken. Er holte 13,8 Prozent der Stimmen, vor fünf Jahren waren es nur 6,2 Prozent. Sein politisches Gewicht auf der Pariser Bühne nimmt stetig zu, und obwohl Glucksmann nicht Mitglied der Sozialistischen Partei ist und viele bei ihm den »Stallgeruch« vermissen, gilt er mittlerweile als möglicher Bewerber für höhere Ämter und könnte sogar versuchen, 2027 die Nachfolge von Emmanuel Macron anzutreten. Stünde schon jetzt die Präsidentschaft zur Wahl, käme Glucksmann laut einer aktuellen Umfrage im ersten Wahlgang auf 14 Prozent.
2018 gründeten Glucksmann und Mitstreiter eine eigene Partei: »Place Publique« (Öffentlicher Ort). Innerhalb des nun formierten Linksbündnisses NFP, das aus der vorgezogenen Parlamentswahl als stärkste Kraft hervorging, ist Glucksmann wichtigster Gegenspieler des radikalen Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon von »La France Insoumise« (Unbeugsames Frankreich). Er ist pro-europäisch und vertritt die Haltung, dass Frankreich nur durch die Zusammenarbeit mit anderen demokratischen Parteien ordentlich regiert werden kann.
»Weder Jupiter noch Robespierre« würden künftig die französische Politik bestimmen, postulierte Glucksmann am Wahlabend. Mit Jupiter, dem obersten Gott der Römer, meinte er Macron, mit Robespierre, dem französischen Revolutionär, der Tausende seiner Gegner unter das Fallbeil schickte, Mélenchon. Letzterer – auch da war Glucksmann kategorisch – würde sicher nicht neuer Premier werden.
Nuancierte Position zu Israel
Im Europaparlament saß Glucksmann bislang im Auswärtigen Ausschuss, wo er sich – im Gegensatz zu den harten Linken – für die klare Unterstützung der Ukraine gegen die russischen Aggressoren einsetzte.
Glucksmanns 2023 verstorbene Mutter Françoise war nicht jüdisch.
Auf die Gretchenfrage antwortete er einmal, er sehe sich eher dem christlichen Menschenbild verbunden, seine jüdischen Wurzeln seien hingegen ein »kulturelles Erbe« denn Glaubensmaximen.
Im Gegensatz zu Mélenchon und vielen anderen Linken in Frankreich war Glucksmann in seinen Stellungnahmen zum 7. Oktober nuanciert. Er verurteilte die Massaker der Hamas gegen israelische Zivilisten scharf, beklagte aber auch einen fehlenden Willen Israels, Frieden mit den Palästinensern anzustreben, und setzt sich für die diplomatische Anerkennung eines Palästinenserstaates ein. Wiederholt verurteilte er Israels Kriegsführung in Gaza.
Dennoch wird Glucksmann, wohl wegen seines jüdischen Namens, stark angefeindet. Einen »pseudolinksliberalen Zionisten« nannte ihn ein nun für die NFP ins Parlament gewählter Politiker kürzlich. Glucksmann ließ die Beleidigung an sich abprallen.