Das Coronavirus hat auch Südafrika fest im Griff. Doch nun gibt es erste Lockerungen der strengen Corona-Verordnungen. Am Montag wurden die strikten Maßnahmen zwar von Höchststufe 5 auf Stufe 4 herabgesetzt.
Das bedeutet aber weiterhin, dass alle öffentlichen Versammlungen verboten sind. Natürlich betrifft dies auch religiöse Versammlungen – und damit die rund 70.000 Mitglieder zählende jüdische Gemeinde am Kap. Rund 50.000 weitere südafrikanische Juden leben in Israel, Australien und Großbritannien.
SYNAGOGE Der Lockdown traf auch die Synagoge mit dem markanten roten Dach in Sandringham Gardens, einer jüdischen Seniorenresidenz im Norden von Johannesburg. In dem Bethaus trifft sich seit Jahr und Tag eine unzertrennliche Gruppe von zwölf bis 15 Männern zum Morgengebet.
In dem Bethaus trifft sich seit Jahr und Tag eine unzertrennliche Gruppe von zwölf bis 15 Männern zum Morgengebet.
Seit dem Ausbruch des Coronavirus erfährt diese Gruppe jüdischer Pensionäre einen gewaltigen Aufmerksamkeitsschub. Denn die Leitung von Sandringham Gardens reagierte schnell und stellte seine 400 Bewohner unter Quarantäne. Bislang blieben alle vom Sars-CoV2-Erreger verschont. Seitdem ist das Morgengebet der einzige aktive Minjan in Johannesburg. Das sprach sich schnell herum.
KADDISCH Seitdem reißen die Anfragen nicht mehr ab. Sowohl von den etwa 50.000 Juden, die in der Metropolregion leben, als auch aus dem ganzen Land werden die unterschiedlichsten Bitten an die Beter herangetragen: Sie sollen Trauergebete für Verstorbene sprechen, während der Toralesungen Namensgebungszeremonien für neugeborene Mädchen abhalten – und natürlich ein Gebet für das körperliche wie geistige Wohlbefinden der Mutter sprechen.
Sandringham Gardens, vor mehr als 100 Jahren gegründet, ist Teil von »Chevrah Kadisha«, der größten jüdischen Wohlfahrtsorganisation auf dem afrikanischen Kontinent, wie deren Kommunikationschef Zivia Grauman sagt.
Bereits am 13. März, so berichtet die »Times of Israel«, ging Sandringham Gardens in den Lockdown – nur acht Tage, nachdem der erste Covid-19-Fall in Südafrika bekannt gegeben worden war.
SCHUTZVORKEHRUNG Die extreme Schutzvorkehrung, zwei Wochen, bevor es die ersten Maßnahmen im Land gab, war zunächst ein Schock für die Bewohner und deren Familien. »Ich war total in Panik und wäre fast durchgedreht. Aber die Entscheidung war alternativlos«, sagte Aviva Egdes, deren Eltern in der Residenz wohnen, im Gespräch mit israelischen Journalisten.
Südafrikas gesamte jüdische Gemeinschaft reagierte blitzschnell auf die neue Bedrohung: Am 16. März wurden alle jüdischen Schulen geschlossen, zwei Tage später die Synagogen. Erst am 28. April hatten Südafrikas Juden ihr erstes Covid-19-Todesopfer zu beklagen.
Der Lockdown-Minjan in Sandringham Gardens folgt streng den Regeln des Social Distancing. Die Männer halten den Mindestabstand von zwei Metern ein und wechseln weder ihre Sitzplätze noch die Gebetbücher untereinander. Mittlerweile wurde für 1200 Verstorbene das Kaddisch gesagt, und 15 neugeborene Mädchen erhielten ihren Namen.
Der Lockdown-Minjan in Sandringham Gardens folgt streng den Regeln des Social Distancing.
»Diese Pandemie hält für uns so einige persönliche, spirituelle und globale Lektionen bereit – manche davon sind schmerzhaft, andere inspirierend«, sagt Chevrah-Kadisha-Geschäftsführer Saul Tomson der »Times of Israel«. »Auf ganz wundersame, wechselseitige Weise halten die jungen Leute Abstand zu den Alten, sodass sich dieser wunderbare kleine Minjan wiederum um deren spirituelle Bedürfnisse kümmern kann. Es ist die komplette Umkehrung der Norm.«
NAMENSGEBUNGEN Eine weitere exklusive Besonderheit dieses Minjans sind die Namensgebungen und das Kaddisch. Denn während weltweit Ausnahmen geschaffen wurden, um die Brit Mila zu ermöglichen, wenn auch stark reglementiert, gab es bisher keinerlei Ausnahmen für die Namensgebungen bei Mädchen. Denn die müssen während des Lesens der Tora in Anwesenheit eines Minjans vollzogen werden. So kamen denn auch Namenswünsche aus Kanada, Uruguay und Brasilien.
Auch das Kaddisch bedarf einer Mindestanzahl an Betern – und kann auch für einen Trauernden gesprochen werden, sofern der nicht dazu in der Lage ist. Wünsche für das Kaddisch kamen aus etlichen Ländern. Rabbi Jonathan Fox, der dem Minjan vorsteht, sagt, dass seine kleine Gemeinschaft »sehr demütig und stolz ist, das Kaddisch für so viele Menschen beten zu dürfen. Sie empfinden das als Privileg und Ehre«. Für den Rest der jüdischen Welt ist der Minjan von Johannesburg ein kleines Wunder.