Nissim Black

Der Bratzlawer Rapper

Vor einer kleinen Bühne in einer jüdischen Schule im Norden Londons steht ein Publikum von 200 jungen Männern und singt laut die Worte »Haschem Melech, Haschem Malach, Haschem Jimloch Le’olam Vaed« – »der Ewige ist König, war König und wird für immer und ewig König sein«. Die meisten sind orthodoxe Jugendliche, die von einer sozialen Stiftung betreut werden.

Der Gig hier an einem Sonntagabend ist ein Benefizkonzert. Doch der Mann auf der Bühne, der gerade sein bekanntestes Lied mit der Aufforderung »Macht alle Lärm!« vorgetragen hat, ist einer der bekanntesten aktuellen Stars im orthodoxen Musikgeschäft.
In der traditionellen Kleidung der Bratzlawer Chassidim tanzt Nissim Black, eine korpulente Gestalt, und animiert die Jungen, bis ihm der Schweiß hinunterläuft.

»Nissim, Nissim, Nissim!«, rufen die Jungen voller Begeisterung. Black antwortet auf dieses Jubeln mit den Worten »Haschem, Haschem, Haschem« und zeigt mit einer Hand nach oben.

seattle Obwohl Nissim Black in jüngster Zeit normalerweise vor mehreren Tausend Zuhörern auftritt, sagte er zu, bei einem Kurzbesuch in England vor kleinem Publikum eine Show zu geben. Mehr noch: Als ehemaliger Betreuer schwer erziehbarer Jugendlicher in Seattle liegt ihm besonders viel daran, jungen Menschen Hoffnung zu geben.

Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sind Gefühle, die ihm wohlbekannt sind, denn er selbst hatte eine harte Kindheit und Jugend. Umso glaubwürdiger wirkt Black bei den hier versammelten Jugendlichen im Londoner Norden.

Einer der Jungen, Jonathan Willner (14), findet es »so toll«, dass Nissim »nach all dem, was er mitgemacht hat«, zum jüdischen Glauben fand. Auch sein Onkel Itzchak (52) sei begeistert, erzählt Jonathan. Die Jungen glauben Black, wenn er sagt, dass er wirklich jeden Auftritt ernst nimmt und sich »mental darauf vorbereitet, um mit möglichst viel Energie die Leute anzufeuern«.

Der 31-jährige Rap-Star Nissim Baruch Black, einst unter dem Namen Damian Black oder kurz D. Black bekannt, ist kein gewöhnlicher Chassid mit Vorfahren, die aus Osteuropa nach Amerika kamen. Nein, Black stammt aus der African-American Community in Seattle. Schon seine Eltern waren im Musikgeschäft. Aber sie gingen einer Nebentätigkeit nach, die sie ernster nahmen als die Musik: dem Drogengeschäft.

Dem jungen Black blieb nichts erspart, vor ihm wurde nichts verborgen. Bald lebten die Eltern getrennt, und im Alter von nur 37 Jahren starb Blacks Mutter an einer Überdosis. Der Großvater unterstützte den Jungen einige Jahre lang. Aber dann landete er hinter Gittern und starb im Gefängnis.

Dennoch gab Black nicht auf. »Manche Leute erinnern sich daran, wie ich immer den Schwächsten in der Schule half«, erzählt er. »Ich gewann sogar einen Preis als ›Schüler, der andere am meisten inspiriert‹.« Dennoch flog Black von der Schule, weil er einmal eine Schusswaffe bei sich trug.

Hip-Hop Mehrere Jahre gehörte der Musiker, der immer schon Rapper sein wollte, zur Hip-Hop-Szene in Seattle, mit allem, was zu diesem Lebensstil dazugehört. Und er entwickelte sich langsam zum größten Talent der Stadt.

Seit sechs Jahren führt Black ein völlig anderes Leben, das eines orthodoxen Juden. Die Reise begann für ihn beim Islam des Großvaters und führte ihn über das Christentum zu Jews for Jesus und schließlich zum orthodoxen Judentum.

Es war die Nähe zur jüdischen Gemeinschaft in Seattle, die ihn neugierig machte, sagt er. »Jesus war ja selbst Jude, und dann fiel mir auf, dass man den Sonntag auf den Tag nach dem Schabbat gelegt hatte.« Heute sei die direkte Beziehung zu Gott für ihn am wichtigsten, entsprechend den Lehren des berühmten Rabbi Nachman von Bratzlaw.

»Während meiner Übertrittsphase saß ich nach den Konzerten oft vollkommen mit mir selbst beschäftigt inmitten der Crew. Die anderen tranken und rauchten, und ich wandte mich an Gott und fragte: ›Bist du auch hier noch bei mir?‹.«

Den Übertritt zum Judentum musste Black nicht allein unternehmen. Bei Rabbi Simon Benzaquen an der sefardischen Bikur-Holim-Synagoge in Seattle konvertierten auch Blacks Frau, ihre Schwester und deren Mann. Inzwischen hat Nissim Black mit seiner Frau fünf Kinder.

Von Rabbi Nachman und dessen Lehren hatte Black schon vor seinem Übertritt gehört. Einer der wichtigsten Sinnsprüche des Bratzlawer Rebben sei für ihn die Weisheit, »dass gerade diejenigen, die am tiefsten gesunken sind und in den finstersten Ecken stehen, das Potenzial haben, das stärkste Licht zu sein, denn schon ein kleines Streicholz erhellt einen dunklen Raum«.

Musikgeschäft Nach dem Übertritt hängte Black das Musikgeschäft an den Nagel, »wegen all dem Negativen, das da­rin steckt«, wie er sagt. Doch als sein Sohn schwer an Meningitis erkrankte und Black verzweifelt zu Hause saß, glaubte er, ein Zeichen Gottes erhalten zu haben, als er beiläufig mit einem alten Mikrofon spielte, das schon jahrelang nicht mehr funktio-
nierte. »Plötzlich ging das Ding wieder. Da dachte ich mir: Ich soll die Gabe des Musikmachens wohl weiter nutzen.«

Inzwischen hat Black zwei neue, vollkommen »koschere« Alben herausgebracht: 2013 erschien Nissim, und ein Jahr nach seiner Auswanderung nach Israel kam 2017 Lemala heraus. Die Texte sind durchgehend positiv, in vielen wird Gott gepriesen.
Es dauerte nicht lange, und der Name Nissim Black wurde Teil der jüdisch-religiösen Musikszene.

Größen des orthodoxen Genres wie Gad Elbaz, Describe, Yisrael Laub und Elvis Lipa Schmeltzer arbeiten inzwischen mit ihm zusammen. So ist sein größter Hit »Hashem Malach« eine Neuaufnahme des gleichnamigen Songs von Gad Elbaz. Darin vermischen sich israelischer Trance und Popbeat mit chassidischen Melodien.

Black erklärt dies damit, dass er nach seiner Einwanderung nach Israel vor allem durch seine Kinder schnell mit moderner israelischer Musik in Berührung kam und diese zu seinen Texten einen kräftigen und aufmunternden Rhythmus beisteuert.
Um ein Haar wäre sein Lied »Fly Away« Israels Beitrag zum Eurovision Song Contest (ESC) geworden: Alle Juroren gaben Black bei der ersten Vorstellung im LiveFernsehen grünes Licht.

»Der gefürchtete kritische Juror Asaf Amdursky war sogar der erste, der ›Ja‹ sagte«, erzählt Black nicht ohne Stolz.
Doch es war der Rapper selbst, der am Ende ausstieg, wie er sagt: »Ich hatte als Amerikaner überhaupt keine Ahnung, welchen Status der ESC hat. Auf einmal konnte ich nicht mehr zur Klagemauer gehen, ohne angehalten zu werden, und es standen eine Menge Gigs in den USA und Europa bevor.«

schiurim Bei seinen Auftritten in religiösen Gemeinschaften gibt Black zwischen den Liedern oft Schiurim, oder er spricht in Jeschiwot. Dabei geht es nicht nur um religiöse Fragen, sondern auch um die Aufarbeitung der Geschichte. »Manchen fehlt das Wissen über die Geschichte der Afroamerikaner«, sagt er, »und ich muss dann ein bisschen nachhelfen, denn meine Vorfahren kamen nicht freiwillig in die Vereinigten Staaten, um dort Arbeit zu suchen.«

Jerusalem, sein neues Zuhause, sieht er als das natürliche Ziel all seiner Studien. »Ich hatte mir überlegt, in den USA zu bleiben, aber letztendlich wollte ich doch nahe an dem Ort sein, wo alles geschah: wo die Propheten lebten und der Tempel stand.«
Vom Judentum habe er vor allem gelernt, für sich selbst verantwortlich zu sein, sagt Nissim Black. »Gerade Afro-Amerikaner zeigen gern mit dem Finger auf andere.« Aber es zähle eben vor allem die innere Haltung.

Kann Black nach mehr als sechs Jahren als orthodoxer chassidischer Jude einen jüdischen Witz erzählen? »Na klar!«, sagt er: »Zwei jüdische Freunde beschließen, ab sofort nur noch säkular zu leben, und feiern dies, indem sie in ein nichtkoscheres Restaurant gehen.

Als der Kellner mit dem Essen kommt, sagt der Erste die Bracha, den Segensspruch. Fassungslos schreit der andere ihm etwas auf Hebräisch entgegen. ›Was hast du da gesagt?‹, fragt ihn der Erste. ›Eine Bracha, die deine Bracha für nichtig erklärt‹, triumphiert der Zweite.« Und Nissim lacht zufrieden.

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