Aus und vorbei: Nach dem »Palace« in Scuol im Herbst hat vor einigen Wochen auch das älteste Koscher-Hotel Europas, das »Edelweiß« im Nobelkurort St. Moritz, die Türen für immer geschlossen. Das Haus ist verkauft.
Seine Geschichte zeigt den kontinuierlichen Niedergang der koscheren Hotellerie in der Schweiz: Im Jahr 1883 mietete die Familie Bermann, die bereits in Meran ein kleines koscheres Hotel betrieben hatte, das Haus. Drei Jahre später erwarb sie das »Edelweiß«. Über mehrere Generationen im Familienbetrieb führten es zuletzt Bermanns Tochter Debbie und ihr israelischer Mann.
Diese über lange Zeit erfolgreiche Geschichte kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für Betreiber koscherer Hotels schon immer schwer war. Denn in Davos und auch in St. Moritz gab es in den Vorkriegs- und Kriegsjahren eine kleine, aber überaus aktive Nazi-Kolonie. Welcher jüdische Gast wollte in einer solchen Umgebung Urlaub machen?
Ressentiments Als die Nazi-Gefahr vorbei war, atmeten die Schweizer Kurorte auf. Doch Ressentiments gegen orthodoxe jüdische Gäste aus dem In- und Ausland blieben teilweise noch Jahrzehnte erhalten. Die koschere Hotellerie in den Westalpen konnte sich dennoch entwickeln – als kleiner Nischenbetrieb der großen und immer attraktiveren Tourismus-Marke »Schweiz«.
Die Umfrage eines Basler Meinungsinstitutes im Auftrag des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) ergab allerdings noch Mitte der 80er-Jahre ein erschreckendes Ergebnis: Die meisten der Befragten mochten keine jüdischen Gäste.
Public Relations Um diese Zeit betrat Meir Wagner-Kahn die Bühne der jüdischen Hotellerie der Schweiz. Er stammte aus Rumänien und hatte Ruth Kahn geheiratet, die Tochter einer jüdischen Gastwirtsfamilie aus Basel. Der muntere Mann verkaufte mit seinen Reisen um die halbe Welt nicht bloß den Namen des Hotels »Silberhorn«, das die Familie Wagner-Kahn führte, sondern bald auch den Standort Grindelwald und das gesamte Berner Oberland. Das machte ihn zu Hause im Dorf beliebt.
Zu unangenehmen Begegnungen zwischen Einheimischen und jüdischen Gästen wie in anderen Orten kam es hier fast nie – nicht zuletzt dank der umsichtigen PR-Arbeit von Meir Wagner. Legendär ist seine Tour zum damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan, dem er im Weißen Haus freudestrahlend einen Rucksack aus Grindelwald übergab, ebenso wie der englischen Königin in London.
Gewundert hätte es niemanden, wenn diese Prominenten eines Tages tatsächlich in Grindelwald aufgetaucht wären. Aber auch ohne sie war das »Silberhorn« beliebter Dreh- und Angelpunkt. Da suchte der damalige israelische Ministerpräsident Jitzchak Schamir während des Golfkriegs 1991 ebenso kurzzeitige Erholung wie der britische Oberrabbiner oder mehrere Botschafter von Ostblockländern während der Umbruchjahre.
Konkurrenz Wirtschaftlich allerdings ging es schnell und steil bergab. Das »Silberhorn« musste 1996 schließen. Es nahm eine Entwicklung voraus, die bis auf eine Ausnahme inzwischen alle koscheren Hotels der Schweiz ereilt hat. Ihnen allen wurde die Wirtschaftskrise ebenso zum Verhängnis wie die Konkurrenz durch Kurzzeit-Hoteliers. Die kamen oft aus Israel, mieteten für wenige Wochen während der Hochsaison im Sommer und Winter sowie über Pessach irgendwo im Land ein Hotel. Das Personal (und manchmal auch das Essen) ließen sie einfliegen und sparten sich so die Kosten für die unattraktive Nebensaison.
Auch die Konkurrenz der Ferienwohnungen zog an den Hotels vorbei. Jüdische Gäste mieten gern ein paar Zimmer, bringen eigenes Geschirr mit und organisieren problemlos auch einen Minjan, für den es auch nicht unbedingt ein koscheres Hotel braucht.
Im Graubündener Ort Arosa, der wegen seiner zahlreichen orthodoxen Gäste gelegentlich auch »Arosalem« genannt wird, hat kürzlich als letztes koscheres Hotel das »Metropol« seine Tore geöffnet – doch nur für die Wintersaison. Wem das nicht attraktiv genug ist, der muss nach Israel oder in die USA ausweichen – oder ans Mittelmeer, nach Venedig.