»Es gab einen starken Windstoß, wir hörten Krach, gingen gucken, und da lag er umgestürzt dort« – so knapp fasste ein Sprecher des Anne-Frank-Hauses in Amsterdam zusammen, was seither Schlagzeilen in aller Welt macht: Der Fall der 170 Jahre alten Rosskastanie, die Anne Frank aus dem Hinterhaus sehen konnte, in dem sie sich zwischen Juli 1942 und August 1944 vor den deutschen Besatzern versteckte. Am Montagmittag, als heftiger Wind wie ein verfrühter Herbststurm durch die Stadt fegte, knickte der Stamm anderthalb Meter über dem Boden um.
Durch mehrere Beschreibungen in Anne Franks Tagebuch wurde die Kastanie weltberühmt. Besonders der Eintrag vom 13. Mai 1944 ist häufig zitiert worden: »Unser Kastanienbaum steht von oben bis unten in voller Blüte und ist viel schöner als letztes Jahr.«
Schwammbefall Schlagzeilen machte der Baum, der auf einem angrenzenden Grundstück in der Keizersgracht stand, seit einiger Zeit durch eine aggressive Schwammart, die ihn 2005 befiel. Der anfängliche Plan, den Baum wie üblich zu fällen, scheiterte nicht allein am Protest von Anwohnern, sondern an der internationalen Bestürzung darüber, mit einer der ältesten Kastanien Amsterdams ein Symbol der Hoffnung zu verlieren. In den Niederlanden selbst gehört Anne Frank zum 50 Punkte umfassenden Kanon der Landesgeschichte, den das Parlament vor zwei Jahren als Pflichtstoff für den Schulunterricht beschlossen hat. Das Schicksal des Mädchens steht symbolisch für das Thema »Judenverfolgung«.
Seit demselben Jahr wurde die Kastanie mit einer 75.000 Euro teuren Stahlkonstruktion gestützt. Für die nächsten 15 Jahre sollte ihr Erhalt damit gesichert sein. Bereits zuvor begann die Stiftung »Support Anne Frank Tree«, die sich seit der Rettung um den Baum kümmert, seine Früchte zu sammeln. Die daraus gezüchteten Ableger sollen sein Andenken lebendig erhalten und ein Mahnmal gegen Diskriminierung und Antisemitismus darstellen. Im Amsterdamer Stadtwald pflanzte man im vergangenen Jahr 150 Triebe ein. Auch zahlreiche Anne-Frank-Schulen erhielten einen Steckling. Sekretär Karel Bowles nannte es am Montag »ein Drama«, dass der Baum nun umgestürzt ist.
Bei der Anne-Frank-Stiftung, zuständig für das benachbarte Museum, hält sich die Trauer in Grenzen. Direktor Hans Westra, einstmals Befürworter, die Kastanie zu fällen, zeigte sich »erleichtert, dass der Fall kein Unglück verursachte und dass das Hinterhaus noch steht. Wir hatten immer Angst, der Baum könnte darauf stürzen.«
ausverkauf Auf der Online-Verkaufsbörse www.maarktplaats.nl hat derweil der Ausverkauf von Souvenirs begonnen. Die Kastanie war kaum ein paar Stunden gefallen, da wurden schon zahlreiche Stecklinge, Äste, Früchte und sogar ein Stück Rinde des berühmten Baums – »plus minus einen Meter lang, nachweislich echt, Fotos folgen« – angeboten. Tausende Klicks verzeichneten die Andenken in nicht einmal einem Tag. Das Angebot für einen Ableger lag bei 15 Euro.
»Der Baum ist gefallen, es lebe der Baum«, so versucht einer der Verkäufer den Absatz im Internet anzukurbeln. Und weil es mit der Kastanie nun unwiderruflich vorbei ist, wird selbst ihre Ansicht zum Geschäft: »Original-Foto des Anne-Frank-Baums. Wenn Sie zehn Euro zahlen, kriegen Sie dieses per Mail. Es ist bis A3 ausdruckbar.«