TV-Tipp

Der andere Taxi Driver

Film-Team: Lynne Ramsay und Joaquin Phoenix Foto: picture alliance / NurPhoto

Wie ein Blinzeln in der Dunkelheit dringen düstere Szenen ans Licht und ins Gehör: Eine Kinderstimme zählt von 15 an rückwärts. Ein Mann ringt unter einer Plastikfolie stumm nach Luft. Eine Kette mit dem Namen Sandy, ein blutiges Taschentuch. Lauter Schnipsel einer gewaltdurchwirkten Kindheit, aber auch eines Kriegseinsatzes ergießen sich über die Leinwand.

Dieser Filmbeginn ist ein atmosphärischer Alptraum aus scheinbar zusammenhanglosen Szenen, die sich in der Nacht heruntergekommener Hinterhöfe auflösen. Endlich findet die Kamera in einem Mann mit Kapuze einen Anhaltspunkt. Er wird aus dem Hinterhalt angegriffen, schlägt zurück, steigt in ein Taxi und findet im leisen Gesang des Fahrers endlich Ruhe.

Lesen Sie auch

A Beautiful Day beginnt mit einem nächtlichen Großstadtmilieu. Joe (Joaquin Phoenix) war früher beim FBI und im Krieg, mutmaßlich in Afghanistan. Jetzt arbeitet er als Privatdetektiv, der entführte Kinder aufspürt. Diese Jobs vermittelt ein Freund, auch den Kontakt zum Senator Albert Votto, dessen minderjährige Tochter Nina anscheinend in einem illegalen Bordell festgehalten wird.

Sicherheit in den Anonymität

Viel erfährt man nicht über diesen bärtigen Mann Joe, der sich, mit einem Hammer bewaffnet, auf den Weg macht, um auf alles einzuschlagen, was sich ihm und seiner Rettungsaktion in den Weg stellt. Nur, dass er eine demente Mutter hat, die er liebt und pflegt. Und dass sein Herz für missbrauchte Kinder schlägt, weil ihr Schicksal seinem eigenen ähnelt.

Das bestimmt seine einsame Gefühlswelt, die hinter der Gewalttätigkeit immer mal wieder hervor blitzt. Jetzt aber hat Joe in ein Wespennest gestochen, das sein eigenes Nest, das ihm Sicherheit in der Anonymität gewährt, zu zerreißen droht.

Für diese ambivalente Rolle hat der US-Schauspieler Joaquin Phoenix einige Kilo zugelegt, die er mit bullig vernarbtem Körper durchs Bild schiebt, und dabei an Vorgänger wie Robert De Niro oder Jean Reno denken lässt. Auch in Taxi Driver (1975) und Leon – Der Profi (1994) werden einsame, gefühlskalte und im Grunde unreife Männer mit jungen Mädchen konfrontiert, für die sie Verantwortung übernehmen.

Selten aber wurde diese anrührende Konstellation mit einer solchen Bilderwucht wie hier von Lynne Ramsay erzählt. Sie ist eine der wenigen Autorenfilmerinnen, denen man solch ein knallhartes Kino zutraut. Schon We Need to Talk About Kevin (2011) oder Ratcatcher (1999) zeichneten sich durch eine Kompromisslosigkeit aus, die vor keiner Härte und keinem blutigen Kamerawinkel zurückschreckten.

Filmkomponist Jonny Greenwood hat eine dröhnende, beunruhigende Tonspur geschaffen.

You Were Never Really Here, so der anklagende Originaltitel, wirkt dabei selbst wie ein Hammerschlag. Das lässt einen vor allem auf der Tonspur nicht mehr los. Filmkomponist Jonny Greenwood hat eine dröhnende, beunruhigende Tonspur des Terrors geschaffen. Ohne viele Worte, aber mit umso lautstark einbrechenden Dissonanzen baut die Inszenierung einen immensen Druck auf. Sie macht den Sound der Stadt mitsamt der ihr innewohnenden Gewalttätigkeit geradezu fühlbar; im Lärm scheinen Joes schreckliche Erinnerungen schneller abzuebben.

Einen ähnlichen Effekt besitzt auch die Fürsorge für die demente Mutter, die ihn aufreibt, ihm aber auch Momente der Ruhe schenkt. In solch einer Umgebung kann selbst eine die Atemluft raubende Tüte über dem Kopf zum Werkzeug der Selbsthypnose werden, mit der Joe als Kind die Realität aussperrte und als Erwachsener nun ungebetene Gedanken.

A Beautiful Day ist als faszinierend binäres Charakterporträt zwischen Brutalität und Zartheit angelegt, was sich auch in der kontrastreichen Bild- und Tongestaltung widerspiegelt. Allerdings haftet dieser kunstvollen Verfremdung etwas Prätentiöses, weniger Direktes als den bisherigen Filmen von Ramsay an. Doch die Inszenierung gewinnt eine packende Intensität.

Der Film von 2017 ist eine cineastische Erfahrung, eine von harten Einbrüchen geprägte Achterbahnfahrt durch die Untiefen von Joes Traumata, die nur langsam, (alp)traumartig ans Licht kommen. So steigt aus der Dunkelheit doch noch etwas Helles hervor: Aus Joes ewiger Nacht wird Ninas »beautiful day«.

»A Beautiful Day« ist am Montag, den 10. Februar um 22 Uhr bei Arte zu sehen.

Google

Google Calendar streicht den Internationalen Holocaust-Gedenktag

Neben anderen Gedenktagen sind im Google Calendar auch die mit jüdischem Bezug verschwunden. Das Unternehmen dementiert, dass man damit den Anti-Diversitäts-Vorgaben der Trump-Regierung gehorche

 13.02.2025

Polen

Ronald S. Lauder erhält Karski-Preis

Lauder wird für sein Engagement für die Erneuerung jüdischen Lebens in Polen und das Schoa-Gedenken geehrt

 13.02.2025

Künstliche Intelligenz

So Fake, aber so gut

Ein AI-generiertes, an den Antisemiten Kanye West adressiertes Video geht gerade viral. Und es ist eine Wohltat!

von Sophie Albers Ben Chamo  12.02.2025

Web

Schwarmintelligenz auf Abwegen

Alle benutzen Wikipedia, aber kaum einer weiß, dass es immer wieder Manipulationsversuche gibt. Auch bei Artikeln zum Thema Israel

von Hannah Persson  10.02.2025

Rassismus auf WhatsApp

Britischer Staatssekretär entlassen

Andrew Gwynne hatte sich über den »zu jüdisch« klingenden Namen eines Mannes lustig gemacht

 09.02.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Als Harry und Sally so langweilig wie Mayonnaise waren

von Katrin Richter  09.02.2025

USA

Der andere Babka-King

Chris Caresnone will Menschen zusammenbringen. Dazu probiert der Influencer live Gerichte aus. Die jüdische Küche hat es ihm besonders angetan. Ein Gespräch über Gefilte Fisch und Menschlichkeit

von Sophie Albers Ben Chamo  09.02.2025

Rom

Achtjähriger getreten, geschlagen und bedroht, weil er eine Kippa trug

Der Täter zückte einen abgebrochenen Flaschenhals, als die Mutter und eine Ladeninhaberin ihn aufhalten wollten

 07.02.2025

Brüssel

Kurswechsel in Belgien?

Am Montag vereidigte König Philippe die neue Föderalregierung unter Führung des flämischen Nationalisten Bart De Wever. Nicht nur im Hinblick auf Nahost dürfte sich einiges ändern

von Michael Thaidigsmann  04.02.2025