Eine besondere Konferenz? Da ist sich Avichai Apel sicher. Zwar ist der Frankfurter Rabbiner ein alter Hase bei den Treffen der Europäischen Rabbinerkonferenz (CER), doch das Treffen, das diesmal in Amsterdam stattfindet, hebt sich von den anderen durchaus ab.
Zum einen, weil es ein Jubiläum ist: Vor 60 Jahren kam die Konferenz erstmals zusammen, ebenfalls in der niederländischen Hauptstadt. Und dann sind es eben auch besondere Zeiten: die unruhige Weltpolitik, zunehmender Antisemitismus, die rechtspopulistische Welle in Europa.
Programm »Wir haben darum das Thema Erziehung als Schwerpunkt gewählt. Sonst geht es bei unseren Treffen oft um halachisch-technische Fragen«, so Apel, der als Mitglied des Vorbereitungskomitees direkt am Programm beteiligt ist. Gerade hat der britische Oberrabbiner Ephraim Mirvis das Treffen offiziell eröffnet. »Nachdenken, lernen, sich austauschen«, so beschreibt Apel das Ziel der dreitägigen Konferenz. Denn: »Es gibt nicht genug jüdische Erziehung. Wie also können wir sie verstärken?«
Im Zentrum dieser Frage stehen natürlich die Rabbiner selbst. »The Rabbi’s Role in Education and Outreach« lautet der Titel der Jubiläumsveranstaltung. Avichai Apel beschreibt es so: »Das Judentum im heutigen Europa braucht Verstärkung. Und die Rabbiner brauchen auch Verstärkung in ihrer Aufgabe der geistigen Führung: Wie können wir das leisten, mit all den verschiedenen Menschen in den Gemeinden, die unterschiedlich denken und handeln?«
Thematisch spiegelt sich das am Eröffnungstag etwa im Vortrag von Israels aschkenasischem Oberrabbiner David Lau wider: Ist die Autorität des Rabbiners lediglich aus der Halacha abgeleitet, oder beruht sie auf einem gemeinsamen Konsens?
Im Großen Saal des Tagungshotels ist fast jeder Platz besetzt, während an der Rezeption noch immer Teilnehmer einchecken. Fast 300 aus ganz Europa, Israel und den USA haben sich angemeldet, gut 250 davon sind selbst Rabbiner – ein Rekord.
»Während Gemeinden schwächer werden, durch Auswanderung und abnehmende Bindungen, wird die Rolle des Rabbiners immer wichtiger« – auf diesen Nenner bringt es CER-Präsident Pinchas Goldschmidt, der auch Oberrabbiner von Moskau ist. »Deshalb müssen wir die Rabbiner trainieren, dass sie nach innen und nach außen wirken können.«
Als Beispiel nennt Goldschmidt Amsterdam, die Stadt, in der das Treffen stattfindet. »Wenn hier 2000 Juden zur Gemeinde gehören, aber 10.000 in der Stadt leben – wie können wir sichergehen, dass die anderen 8000 noch Teil des jüdischen Volks sein werden?«
Benötigt werden, so Goldschmidt, finanzielle Mittel, um die Gemeinden zu stärken. Aber auch die Infrastruktur wie »Kindergärten, Camps, Retreats oder Seminare für Rabbiner«. Die CER-Unterorganisation Hulya, ein in Luxemburg ansässiger Thinktank zur Unterstützung jüdischer Gemeinden in Europa, sieht er als eine geeignete Institution, die vor allem auf junge Rabbiner gerichtet ist.
Schechita Ein bedeutender Teil der Konferenz widmet sich äußeren Herausforderungen, vor denen jüdische Gemeinden in Europa heute stehen. Goldschmidt nennt nicht nur die Themen Sicherheit und Terrorismus. Auch die Religionsfreiheit macht ihm Sorgen. »Erst diese Woche wurden wir informiert, dass die Regierung der belgischen Region Wallonie ab 2019 die Schechita verbieten möchte, und der norwegische Premierminister kommt mit einer neuen Initiative, um die Beschneidung zu untersagen. Dies sind europaweite Bedrohungen. Nur indem wir zusammenhalten, können wir sie bekämpfen.«
Im Fokus der Konferenz steht auch die aktuelle rechtspopulistische Welle in Europa. Die Erleichterung über die Niederlage Marine Le Pens bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich ist spürbar. Dennoch bereitet vielen Teilnehmern die Tatsache Sorge, dass Entwicklungen wie in Belgien und Norwegen gerade nicht auf das Konto von rechtspopulistischen Parteien gehen. Laut Goldschmidt könnte »das politische Establishment versuchen, mit anti-religiöser Politik Zulauf von der extremen Rechten zu bekommen«, heißt es in einer Presseerklärung, die am Abend verteilt wird.
Arbeitsgruppen Unterdessen wird in Arbeitsgruppen diskutiert – zum Beispiel zum Thema »Jüdische Gemeinden in Zeiten der flüchtigen Moderne«. Angelehnt an den kürzlich verstorbenen Soziologen Zygmunt Bauman tauscht man sich unter Leitung von Mario Izcovich vom American Jewish Joint Distribution Committee aus.
»Laut Bauman ist angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen ein Gefühl von Gemeinschaft wichtiger denn je«, sagt Izcovich. »Genau das könnte die Rolle jüdischer Gemeinschaften sein: ein Ort, an dem sich Menschen sicher fühlen, nicht nur physisch, sondern auch spirituell.« Als Vorteil sieht er dabei, dass Juden »das erste globale Volk« seien.
Im weiteren Verlauf der Konferenz kommen sehr vielfältige Themen zur Sprache, so etwa die Frage, ob ein entsprechender Gen-Code die jüdische Identität beweisen und damit Dokumente überflüssig machen könne. Aber auch sehr sensible Themen stehen auf der Tagesordnung wie »Missbrauch in unseren Gemeinden ansprechen«. Eine Podiumsrunde widmet sich der Rolle der Rebbetzin und eine weitere der besonderen Situation kleiner Gemeinden.
Letzteres könnte für Luciano Prelevic interessant sein, den Rabbiner von Zagreb. In der kroatischen Hauptstadt finde man freitagabends auf jeder Kulturveranstaltung mehr Juden als in der Synagoge, klagt er. »Die meisten kommen nur zweimal im Jahr, und die Kaschrut halten sie auch nicht. Ich versuche, ihnen zu vermitteln, was es bedeutet, Jude zu sein.«
Nach Amsterdam gekommen ist Prelevic nicht zuletzt, um sich Rückendeckung für seine Mission zu holen: »um Menschen zu treffen, um Ideen auszutauschen und um ein wenig Unterstützung zu fühlen, dass ich nicht allein bin«.