Ilja Sichrovsky und Ehab Bilal fühlen sich derzeit reichlich unter Druck. In wenigen Wochen reisen 60 jüdische und muslimische Studierende aus aller Welt nach Wien, um hier an der ersten Muslim-Jewish Conference teilzunehmen. Noch sind nicht alle Visa unter Dach und Fach – und so mancher Teilnehmer aus Asien oder Afrika ist bisher noch nie ins Ausland gereist.
Umfeld Die Idee zu einer solchen Begegnung in akademischem Rahmen kam dem heute 27-jährigen Studenten Sichrovsky 2008. Bei der Harvard World Model United Nations Conference in Mexiko kam er mit muslimischen Studierenden, unter anderem aus Pakistan, ins Gespräch. »Ich habe gemerkt: Wir sind gar nicht so verschieden, wie die Medien und unsere Eltern versucht haben, es uns zu vermitteln«, sagt der jüdische Wiener. »Das Umfeld, in dem junge Juden und junge Muslime heute aufwachsen, fördert Vorurteile.«
In Ehab Bilal hat Sichrovsky, der als Generalsekretär der Konferenz fungiert, nicht nur das muslimische Gegenüber, sondern auch den Organisator für dieses Projekt gefunden. Bilal stammt aus libyscher Familie, wurde aber selbst in Wien geboren und wuchs in dieser Stadt auf. Sein Studium absolvierte der 25-Jährige in England. Seit dem 11. September 2001 hat der bekennende, aber nicht streng praktizierende Muslim das Gefühl, in seiner Religion doch »ein bisschen unterdrückt zu werden«. »Wenn ich verreise, werde ich drei Mal gefragt, mit welchem Ziel ich komme – ob geschäftlich oder zum Vergnügen.«
Auswahl 120 junge Juden und Muslime bewarben sich um die Teilnahme an der Konferenz. Die Auswahl erfolgte nach rein inhaltlichen Kriterien, betonen Sichrovsky und Bilal. Die beiden freuen sich, dass sich die 60 Teilnehmer aus rund 25 Ländern zu gleichen Teilen aus Vertretern beider Religionen zusammensetzen, ohne dass auf Basis der Konfessionszugehörigkeit entschieden worden wäre. Der Bogen spannt sich dabei auf beiden Seiten von sehr religiös bis säkular. Bedingung seitens der Organisatoren war, dass die Bewerber zum Gespräch bereit sind. Schließlich soll es in Wien zu einem Diskurs kommen.
Um diesem Ziel näherzukommen, wurde beim offiziellen Konferenzprogramm der Nahostkonflikt bewusst ausgeklammert. Denn »wir müssen zuerst zu einer gemeinsamen Sprache finden«, sagt Sichrovsky. So hat man sich entschieden, in diesem Sommer über Antisemitismus und Islamophobie (Sichrovsky: »Hier handelt es sich um eine Aufzählung und nicht um eine Gleichstellung der beiden Begriffe.«) sowie die Rolle der Bildung und die Rolle der Medien beim Abbau von gegenseitigen Stereotypen zu diskutieren. Münden sollen die Debatten in eine gemeinsame Erklärung.
Gastredner Akademische und verbindende Beiträge werden von den Gastrednern Rabbi Marc Schneier, Ibrahim Issa und Rabbi Marc Raphael Guedj erwartet. Schneier ist Gründer und Präsident der Foundation for Ethnic Understanding in den USA, Issa Co-Direktor der Hope Flowers School, einer Bildungseinrichtung, die sich auf palästinensischem Gebiet der Vermittlung von Frieden, Demokratie und Menschenrechten verschrieben hat. Guedj wiederum steht als Präsident der Genfer interreligiösen Stiftung »Racines et Sources« vor, die regelmäßig Rabbiner und Imame versammelt, um gemeinsam für den Frieden zu arbeiten.
Damit sich der Geist des guten Miteinanders in Zukunft global verbreitet, soll es diese Konferenz ab nun jährlich jeweils an einem anderen Ort geben. Vielleicht wird es eines Tages dann auch möglich sein, miteinander über den Nahostkonflikt zu sprechen, hofft Sichrovsky.
www.mjconference.org