»Wenn sie die Kommentare lesen könnten, die ich erhalte, das ist einfach unglaublich«, erzählt Jane Myers der Jüdischen Allgemeinen über das Videokonferenzprogramm Zoom aus ihrem Wohnzimmer, in dem im Hintergrund Kunstdrucke mit hebräischen Sprüchen an der Wand hängen.
Vor einem Jahr hat die 55-jährige Geschäftsfrau und Mutter dreier Kinder gemeinsam mit anderen ein Projekt gestartet, das keinem gleicht, das sie bisher durchführte. Sie hat ein regelmäßiges Hallel-Beten für orthodoxe Frauen ins Leben gerufen. Hallel sind Dankgebete, die traditionell zu Beginn eines neuen Monats und zu Festtagen abgehalten werden.
Lockdown Angefangen hat es mitten im ersten pandemiebedingten Lockdown mit Gesprächen einiger Frauen in ihrer Synagoge im Londoner Vorort Edgware, erinnert sich Myers. »Zwar war unser Bethaus immer noch offen, aber die Teilnahme war auf 25 Personen beschränkt, und ältere Mitglieder trauten sich aufgrund der Ansteckungsgefahr ohnehin nicht mehr zu kommen.« Als Lösung erwogen sie, ein Hallel über Zoom auszuprobieren.
Nach den ersten noch kleinen Versuchen begann sich die Initiative auf Facebook herumzusprechen, erzählt Myers. Und sie selbst, immer schon eine Organisatorin, informierte ihr bekannte Adressaten, darunter viele Synagogengemeinden. Schließlich erfuhr der World Jewish Congress (WJC) davon und berichtete darüber. Inzwischen machen Frauen aller Altersgruppen aus der ganzen Welt mit, beim letzten Mal waren es mehr als 250.
Über die Liste der Länder, aus denen sich Frauen zuschalteten, staunt Myers immer noch. Sie zählt ein paar auf: »Bolivien, Guatemala, Finnland, Schweden, Norwegen, Barbados, Serbien, Israel, Kenia, Spanien und ja: auch Deutschland. Wer hätte gedacht, dass es in all diesen Ländern Frauen gibt, denen an spiritueller Gemeinschaft mit anderen Frauen liegt?«, fragt sie.
teilnehmerinnen Eine der Teilnehmerinnen, Sharon Stichnothe, schaltet sich aus Hannover zu. »Die Pandemie hat im Gemeindeleben zu vielen Ausfällen von Schabbat- und Feiertagsgottesdiensten geführt«, erzählt die 40-Jährige.
Als ihre Schwester ihr davon erzählte, dass sie über eine Facebook-Gruppe vom Zoom-Hallel für Frauen gehört hatte, war sie sofort interessiert und begeistert. »Die spontane Gemeinschaft mit Frauen überall auf der Welt, die in ganz unterschiedlichen Kulturen leben, aber mit denen ich trotzdem dieses gemeinsame Judentum teile, ist großartig!«
Auch bei der Gestaltung des Hallels arbeiten die Frauen inzwischen zusammen, erzählt Myers. Als sie beim letzten Mal einen niederländischen Chor hörte, der sefardische Melodien sang, habe sie Gänsehaut bekommen, denn das erinnerte sie an ihre Kindheit in einer sefardischen Londoner Synagoge.
Eigeninitiative Doch für Myers geht es inzwischen um mehr als ein Zusammenkommen während der Pandemie. Zum einen sollten Synagogen ohnehin mehr sein als nur ein Ort, an dem man bei Gebeten starr sitzt, findet sie. Zum anderen hätten im Judentum Männer so oft Anteil an Riten, dass ein von Frauen und für Frauen geleitetes Gebet besonders wichtig sei. Dabei denke sie auch an eine bessere Zukunft für ihre Tochter. »Sie kann an meinem Beispiel beobachten, dass Veränderung durch Eigeninitiative möglich ist«, betont Myers.
Dass ausgerechnet das Hallel-Beten per Zoom so populär geworden ist, scheint aber nicht nur an ihrer Eigeninitiative zu liegen, sondern auch an ihrem Hang zur Perfektion. So gebe es vor jeder Veranstaltung beispielsweise einen Probedurchlauf, sagt Myers. Die Sache sei die Teamarbeit mehrerer: So würden neben jenen, die wunderschöne Melodien vortragen oder Relevantes vorlesen, andere das Technische kontrollieren und sicherstellen.
Myers ist sich sicher, dass es dieses Hallel auch nach der Pandemie geben wird, denn es verbindet so viele Frauen aus der ganzen Welt miteinander. Frauen aller jüdischen Strömungen könnten sich daran beteiligen, sagt sie, und auch Frauen anderer Religionszugehörigkeit seien durchaus willkommen.
Interessierte können sich anmelden unter: office@edgwareu.com