Herr Stern, Sie haben vergangene Woche an einer interreligiösen Konferenz in Assisi teilgenommen, zu der Papst Benedikt XVI. eingeladen hatte. Welche Erwartungen hatten Sie daran, und wie haben sie sich erfüllt?
Ich war mir sicher, dass, wenn der Papst einlädt, sehr viele Menschen kommen würden. Das war auch der Fall. Ich glaube, es haben so gut wie alle Religionen daran teilgenommen. Allein das war schon wichtig.
Kurz vor dem Treffen hatte der Holocaustleugner Bischof Richard Williamson in seinem Weblog geschrieben, das jüdische Volk sei schuld am Tod Jesu. Sie haben den Papst daraufhin zu klaren Worten aufgefordert. Mit Erfolg?
Leider hat es kein öffentliches Statement des Papstes gegeben. Ich wurde vom Vatikan darauf hingewiesen, dass Benedikt XVI. bereits mehrmals gesagt habe, wie er zu Williamsons Äußerungen stehe. Für den Papst gelte nach wie vor die Erklärung Nostra Aetate.
Sie hatten sich gewünscht, dass Benedikt öffentlich aus seinem letzten Buch vorträgt. Darin schreibt er, dass das jüdische Volk keinerlei Schuld am Tod von Jesus trage.
Ich habe in Assisi kurz mit dem Papst gesprochen. Er hat sich bei dem Treffen wirklich sehr viel Mühe gegeben. Er begrüßte jeden Teilnehmer persönlich. Und jeder hatte die Gelegenheit, ein weiteres Mal mit ihm zu reden, wenn auch nur kurz. Ich habe den Papst dabei direkt auf die jüngsten Ausfälle von Bischof Williamson angesprochen. Benedikt sagte, er wisse davon, und verwies mir gegenüber auch auf die Passage in seinem Buch. Aber ein persönliches Gespräch ist natürlich etwas anderes als eine offizielle Erklärung.
Von außen betrachtet wirken interreligiöse Treffen häufig so, als gäbe es überhaupt keine Konflikte. Wird bei diesen Begegnungen auch manchmal Klartext gesprochen?
Der Nachteil solcher Treffen ist, dass natürlich alle Teilnehmer daran interessiert sind, den Dialog zu fördern. Sie sind freundlich und offen. Da fliegen keine Fetzen.
Wie würden Sie den aktuellen Stand des Verhältnisses zwischen Juden und Katholiken beschreiben?
Die Beziehungen sind im Laufe der vergangenen Jahre trotz aller Probleme immer besser und intensiver geworden. Ich finde, das Verhältnis wird ehrlicher. Wir sprechen inzwischen Dinge an, über die wir früher geschwiegen haben. Heute reden wir, sobald ein Problem auftritt, mit Rom darüber. Und das auf allen Ebenen. Wir haben einen Zugang, der nicht selbstverständlich ist.
Mit dem stellvertretenden Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses sprach Tobias Kühn.