Mehr als 60 Jahre nach ihrem frühen Tod entdeckt das griechische Publikum die legendäre jüdische Sängerin Stella Haskil neu. Einige Monate ist es her, da ehrte das griechische Staatsfernsehen ERT zum ersten Mal die Lebensleistung der Künstlerin mit einer ihr gewidmeten Sendung.
Ladino Noch vor Corona veranstaltete die jüdische Gemeinde von Thessaloniki ihr zu Ehren im staatlichen Opernhaus der Stadt einen Konzertabend mit Ladino-Liedern und Rembetiko. Tomer Katz, der »Botschafter des Rembetiko« aus Israel und Organisator des Abends, brachte mit seinen Sängerinnen und Musikern Stella Haskil Jahrzehnte nach ihrem Tod wieder auf die Bühne.
Das Publikum nahm die sehr emotionale Darbietung begeistert auf. Es stellte fest, dass bekannte und geliebte Songs wie »Akrogialies Deilina« und »Nychtose choris Feggari« Stella Haskil als Erstinterpretin hatten.
Schon im Jahr 2010 setzte die Gruppe Imam Baildi Tonaufnahmen mit Haskils Stimme für eine Neuauflage von »Akrogialies Deilina« auf ihrem Album The Imam Baildi Cookbook ein und versah sie mit einer neuen Instrumentalspur. Das Album und vor allem das Lied wurden erneut zum Hit. Wer Haskil war, das erfuhr das breite Publikum zunächst nicht.
Rembetiko In Musikerkreisen gilt ihre samtene Stimme, ihre einzigartige Art der Interpretation des Rembetiko als Vorbild für Generationen von Sängerinnen. 137 Tonaufnahmen von Liedern, 106 mit Haskil als erster Stimme und 31, bei denen sie die Hauptstimme in unvergleichlicher Weise begleitet, gelten als Pflichtstudium für Musiker des Rembetiko.
2006 veröffentlichte die Rembetiko-Sängerin Mario ein von Ilias Katsoulis (Text) und Notis Mavroudis (Musik) geschaffenes Lied mit dem Titel »Wer erinnert sich an Stella Haskil?«. Es basiert auf Nachforschungen von Ilias Voliotis Kapetanakis, einem Journalisten und Rembetiko-Experten, der sich auf die Suche nach den Spuren der bis auf ihre Stimme weitgehend unbekannten Künstlerin begab.
Sie ist als Autorin von zwölf Liedern eingetragen, für zehn schrieb sie Musik und Text, und für zwei nur die Texte. Ihr Ehemann Jacob Haskil (Ezekiel) ist bei sechs Liedern als Komponist und bei zweien als Texter verzeichnet.
Sie ist Erstinterpretin vieler beliebter Lieder der bekannten Komponisten Vasilis Tsitsanis, Apostolos Chatzichristou, Michalis Chiotis, Spyros Peristeris, Apostolos Kaldaras, Giorgos Mitsakis, Markos Vamvakaris, Babis Bakalis, Giannis Papaioannou und vieler anderer. Ihr Name ist mit dem Durchbruch des Komponisten Giorgos Laukas eng verbunden.
Biografie Stella Haskil, auch als die »Salonikia« bekannt, wurde 1918 als Astralita Gaigos, die dritte von fünf Töchtern des wohlhabenden Eisenwarenhändlers Chaim Gaigos in Thessaloniki, geboren. Ihre Mutter, Perla Kimchi, stammte aus Skopje, das heute in Nordmazedonien liegt. Gaigos’ Wohlstand bescherte den Mädchen eine unbeschwerte Kindheit, die mit dem Einmarsch der deutschen Truppen 1941 abrupt endete.
Die Mutter hatte 1927 oder 1928 erneut geheiratet und brachte mit ihrem neuen Ehemann Andreas Dapolla 1929 Marika, Stellas Halbschwester, zur Welt. Stellas Vater starb 1941 oder 1942, ihre Schwestern und ihre Mutter überlebten die Schoa.
Die Familie war nach Athen geflohen und entging somit der fast vollständigen Ermordung sämtlicher Juden von Thessaloniki. Während der nationalsozialistischen Besatzung Athens lebte sie unter dem Schutz einer deutschen Familie, die einen Nachtklub in der Nähe des Omonia-Platzes betrieb. In diesem Klub trat sie allein mit ihrem Vornamen Stella als Sängerin auf. Stella, das Mädchen aus Thessaloniki, die »Salonikia«. So entging sie der Schoa.
Tavernen Ihr Gesangstalent wurde bereits in ihrer Jugend, vor dem Zweiten Weltkrieg, entdeckt. Sie sang in Straßen und Tavernen ihrer Heimatstadt Thessaloniki. Sie, die Jüdin, die mit Ladino-Musik aufwuchs, passte stimmlich perfekt in die Musikwelt des Rembetiko, der Underground-Musik der aus Kleinasien nach Griechenland geflüchteten orientalischen Griechen.
Diese, fremd im neuen Heimatland, fanden in Haskil eine einheimische Interpretin für ihre Musik. Haskil konnte die Schwermut der Musik der Flüchtlinge schnörkellos intonieren und hob sich damit von ihren aus Kleinasien stammenden, zur stimmlichen Übertreibung neigenden Kolleginnen ab.
Ihren musikalischen Nachlass, die Tonaufnahmen, erstellte sie ab 1946. Spätestens seit diesem Zeitpunkt bis zu ihrem frühen Tod galt sie als die Koryphäe der Sängerinnen der »neuen Schule« des Nachkriegs-Rembetiko. In Athen heiratete sie Jacob Ezekiel und verstarb, kinderlos, am 27. Februar 1954 an einer Krebserkrankung.
Lange war sie vergessen. Jetzt entdeckt Griechenland sie wieder.