Herr Albalas, bei der Europawahl am Sonntag ist die rechtsextreme »Goldene Morgenröte« mit knapp zehn Prozent drittstärkste Partei Griechenlands geworden. Was heißt das für die Juden im Land?
Zunächst einmal heißt das: Die griechischen Neonazis haben jetzt drei Sitze im Europaparlament. Das ist schlimm für unser Land, und wir als jüdische Gemeinde sind sehr enttäuscht. Wir wissen nicht, was jetzt kommen wird. Aber leider war das Ergebnis abzusehen.
Inwiefern?
Wir hatten am 18. Mai Kommunalwahlen. Sie galten als Test für die Europawahl. In Athen erhielt der Spitzenkandidat der Goldenen Morgenröte rund 16 Prozent der Stimmen. Und auch in einigen anderen Städten zogen einzelne Rechtsextreme in die kommunalen Parlamente ein. Das ließ für die Europawahlen nichts Gutes erahnen.
Warum wählen so viele Griechen die Goldene Morgenröte?
Zunächst ist da die Finanzkrise. Zweitens haben viele Leute die Nase voll von den beiden Regierungsparteien. Drittens sind diese Wähler nationalistisch. Sie finden in der Goldenen Morgenröte eine Plattform, wo sie ihre Gefühle ausdrücken können. Etliche Griechen stören sich an den illegalen Migranten, vor allem denen, die aus muslimischen Ländern kommen. Sie trauen der Goldenen Morgenröte am ehesten zu, dieses »Problem« zu lösen.
Laut einer aktuellen Studie der Anti-Defamation League (ADL) ist Griechenland in Europa das Land mit den meisten Antisemiten.
Ich denke, das stimmt so nicht. Die Fragen, die die Teilnehmer der Studie beantworten mussten, sind aus meiner Sicht wenig objektiv und kaum dazu geeignet, eine antisemitische Einstellung wirklich zu ermitteln. Ja, es gibt Antisemitismus in Griechenland, aber ich denke, es ist unfair zu behaupten, 68 Prozent aller Griechen seien Antisemiten. Wir Juden haben seit fünf Jahren weder Vandalismus erlebt noch Angriffe. Schauen Sie sich dagegen Länder wie Frankreich an! Da gibt es so viel physische Gewalt gegen Juden. Oder Schweden! Nach der ADL-Studie ist es das am wenigsten antisemitische Land in Europa. Das kann ja wohl nicht sein.
Wie wird der Einzug der Goldenen Morgenröte ins Europaparlament Griechenland verändern?
Die Neonazis werden sicherlich mächtiger werden. Aber ich bezweifle, dass andere rechtsextreme Bewegungen in Europa sie akzeptieren werden. Madame Le Pen vom französischen Front National nimmt die Goldene Morgenröte bestimmt nicht in ihre Fraktion auf.
Es gibt im neuen EU-Parlament aber noch andere, mit denen die Goldene Morgenröte gemeinsame Sache machen könnte.
Ja, das ist zu befürchten. Man denke nur an die antisemitische, ungarische Jobbik-Partei. Und wahrscheinlich werden sie auch mit der NPD zusammenarbeiten. Das muss man sich einmal vorstellen: Bald sitzt ein deutscher Neonazi im Straßburger Europaparlament!
Mit dem Präsidenten des Zentralrats der jüdischen Gemeinden in Griechenland sprach Tobias Kühn.