Venezuela

Das Erbe des Comandante

Eine Woche Staatstrauer: Diese Frau wartet darauf, Chávez im Glassarg zu sehen. Foto: dpa

Mehr als zehn Jahre lang hielten die venezolanischen Juden den Atem an. Sie waren den Marotten eines launenhaften Präsidenten ausgeliefert, der die Medien dazu nutzte, die Menschen unter Druck zu setzen, gegen Israel zu hetzen und den Iran als Partner zu umgarnen.

Obwohl Chávez den Juden im Land nie ausdrücklich drohte, waren die häufigen Drangsalierungen und die unerschütterliche Feindschaft des Präsidenten gegen den jüdischen Staat dazu angetan, sie in einem permanenten Zustand der Nervosität zu halten.

Doch auch jetzt, nachdem der 58-Jährige einem Krebsleiden erlegen ist, können die venezolanischen Juden noch nicht aufatmen. Zum einen hinterlässt Chávez ein heruntergewirtschaftetes Land, in dem Gewaltverbrechen an der Tagesordnung sind. Zum anderen spielte er im venezolanischen Leben und in der Politik eine so dominierende Rolle, dass heute keiner genau weiß, was aus dem Land werden wird.

Pläne Im Lauf der vergangenen 14 Jahre haben Juden das Land massenhaft verlassen. Als Chávez im Jahr 1999 an die Macht kam, lebten in Venezuela mehr als 20.000 Juden. Laut Schätzungen sind es heute weniger als die Hälfte. In den schwierigsten Jahren der Herrschaft von Chávez erarbeiteten internationale jüdische Organisationen zusammen mit der dortigen jüdischen Gemeinde sogar Evakuierungspläne für die Juden des Landes. Die Pläne sind beiseitegelegt – vorerst.

Die Juden waren nicht die Einzigen, die vor dem Chávez-Regime flohen. Hunderttausende Venezolaner aus der Ober- und Mittelschicht verließen das Land in den vergangenen Jahren, um dem unternehmerfeindlichen Klima, den Enteignungen von Privatunternehmen, dem wirtschaftlichen Niedergang und der steigenden Kriminalität zu entkommen. Viele Juden gingen aus den gleichen Gründen, wobei der Antisemitismus im Vergleich zu der Sorge um wirtschaftliche und physische Sicherheit eher eine untergeordnete Rolle spielte.

Chávez’ Tod eröffnet Chancen auf Veränderung. Doch es ist nicht klar, ob sich die Situation für die venezolanischen Juden so bald zum Besseren wenden wird.

neuwahlen Für den 14. April sind Neuwahlen angesetzt. Als aussichtsreichster Kandidat gilt Nicolás Maduro (50), den Chávez wenige Monate vor seinem Tod zum Vizepräsidenten ernannte. Er soll die Revolution weiterführen und pflegt die gleiche antiwestliche Rhetorik wie Chávez. Sein Gegner ist Henrique Capriles Radonski (40), der bei den Wahlen im Oktober letzten Jahres mit einem Abstand von neun Prozentpunkten gegen Chávez verlor.

Capriles, der sich als Katholik bezeichnet, ist Enkel von Schoa-Überlebenden. Dies nutzte Chávez zu antisemitischen Ausfällen gegen ihn. Während des Wahlkampfs im Herbst beschworen die staatlichen Medien die Venezolaner, den »internationalen Zionismus« zurückzuweisen und ja nicht für Capriles zu stimmen, dessen Wahlprogramm »gegen unsere nationalen und unabhängigen Interessen gerichtet« sei. Chávez verbreitete, Israels Geheimdienst Mossad trachte ihm nach dem Leben.

Während der gesamten 2000er-Jahre hielt Chávez an seiner gegen Israel und den Westen gerichteten Rhetorik fest. Während des Krieges im Libanon im Jahr 2006 beschuldigte er Israel, einen »neuen Holocaust« zu begehen und mit Nazimethoden Libanesen und Palästinenser zu ermorden.

teheran Immer enger wurden seit Jahren die Beziehungen zwischen Venezuela und dem Iran. Die auf den ersten Blick unverständliche Freundschaft zwischen Chávez, einem säkularen Sozialisten, und Mahmud Ahmadinedschad, Präsident einer islamischen Theokratie, gründete auf dem gemeinsamen Hass gegen die Vereinigten Staaten, den Westen und Israel. Die beiden Führer intensivierten den Handel zwischen ihren Ländern, richteten wöchentliche Flüge zwischen Caracas und Teheran ein und besuchten sich oft.

Zum endgültigen Bruch mit Israel kam es während des Gazakriegs Anfang 2009. Chávez brach die diplomatischen Beziehungen mit dem jüdischen Staat ab, wies Jerusalems Botschafter in Caracas aus und beschuldigte Israel des Genozids an den Palästinensern. Chávez rief die Juden in Venezuela auf, sich von Israel zu distanzieren.

Chávez’ kontinuierliche Verknüpfung der venezolanischen Juden mit Israel gab dem Antisemitismus im Land das präsidiale Plazet, auch wenn der Staatschef selbst sagte, er »ehre und liebe« die Juden. Antisemitische Graffiti, die den Davidstern mit dem Hakenkreuz gleichsetzten, tauchten in Caracas auf. Synagogen und Gemeindezentren wurden überfallen und verwüstet.

Doch Chávez war kein Hitler. Es stand den Juden frei, zu gehen und zu kommen; und auch viele der Ausgewanderten besuchten das Land häufig. Bis zu einem gewissen Grad ließ Chávez die Juden des Landes sogar schützen. So ordnete die Regierung 2009 an, eine Synagoge in Caracas, die verwüstet worden war, rund um die Uhr von der Polizei bewachen zu lassen.

bespitzelt Doch die venezolanischen Juden hatten das Gefühl, Chávez habe sie im Visier – ein Verdacht, der sich bewahrheitete, als Anfang dieses Jahres Dokumente veröffentlicht wurden, die belegen, dass der Geheimdienst die Juden ausspionierte. Die Dokumente, die beim argentinischen Medienunternehmen Analises24 eingingen, enthielten Ermittlungsberichte, verdeckt aufgenommene Fotos und Videos.

Im Moment lässt sich keine Aussage darüber machen, ob oder wie lange die antijüdischen Ressentiments, die unter Chávez in Venezuela wucherten, ihn überleben werden. Doch ist es unwahrscheinlich, dass sich die jüdischen Auswanderer mit der Rückkehr beeilen werden.

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