Wie geht man gegen Stereotype und Vorurteile vor? Als Erstes, finden die Trainerinnen Stéphanie Lecesne und Khalissa El Abbadi, muss man sich mit den Klischees im eigenen Kopf auseinandersetzen. Und weil man sich derer zuerst einmal bewusst werden muss, fängt die Konfrontation damit an einem ruhigen Konferenzort an: in der Bibliothek der liberalen jüdischen Gemeinde in Amsterdam – eine passende Umgebung für intensive Diskussionen.
Davon gab es vergangene Woche reichlich – was nicht verwundert bei einem fünftägigen Workshop über Antisemitismus und Islamophobie. Eingeladen hatte die Brüsseler Organisation »CEJI – A Jewish Contribution to an Inclusive Europe«.
Sexismus Gekommen waren neun Sozialarbeiter und Lehrer. Sie sollen den Kerngedanken von CEJI hinaus in die Gesellschaft tragen. »Wenn eine Minderheit nicht sicher ist, ist niemand sicher«, so Stéphanie Lecesne, die seit Langem als Coach bei CEJI arbeitet. »Antisemitismus ist nicht allein ein Problem von Juden und Islamophobie nicht nur eines der Muslime, genauso wenig wie Sexismus nicht nur Frauen betrifft.«
Dass dieser Ansatz in der aktuellen Situation mitunter auf Ablehnung stößt, ist für Stéphanie Lecesne kein Hindernis – im Gegenteil. »Gerade nach den Terroranschlägen von Paris und Kopenhagen war klar, dass wir neben einem jüdischen auch einen muslimischen Coach wollen.« +
Sie fanden ihn in Khalissa El Abbadi, einer Sozialarbeiterin aus Ostbelgien, die im vergangenen Jahr an dem Workshop teilgenommen hatte. »Mir ging es am Anfang vor allem um Islamophobie. Ich wusste nicht, was das mit Antisemitismus zu tun haben sollte«, erklärt sie. Heute ist sie der Meinung, dass »der Kampf gegen Diskriminierung einen grundsätzlichen Ansatz braucht« – auch weil der Nahostkonflikt jüdische und muslimische Gemeinschaften in Europa beeinflusse, sagt sie.
Klischees In der Kaffeepause sitzen die beiden Coaches an der Tafel vor der Bibliothek. Um sie herum stehen Flipcharts mit aufgelisteten Klischees über Juden und Muslime und Papierbögen der sogenannten Stillen Diskussion, bei der die Teilnehmer ihre Argumente schriftlich austauschten, »damit sie sich gegenseitig ausreden ließen«, wie CEJI-Sprecherin Sophie Zimmer sagt.
Auf ihrem Telefon zeigt Zimmer Fotos von meist reißerischen Zeitungstiteln über Muslime. Khalissa El Abbadi holt dazu ein paar antisemitische Karikaturen hervor: Juden mit großen Nasen beim Bluttrinken, dem Verspeisen von Kindern und beim Töten in Gaza. Mit solchem Material wurden die Teilnehmer konfrontiert. »Sie sollten sich fragen, welche Bilder ihnen in welchem Alter vermittelt wurden und wie sie entschieden, welche sie annahmen und welche sie verwarfen. Die Erkenntnis der eigenen Bewusstwerdung steht am Anfang von allem«, sagt Stéphanie Lecesne.
Inspiration Amsterdam als Veranstaltungsort ist nach Meinung der Trainerinnen durchaus eine Inspirationsquelle gewesen: Die Teilnehmer des Workshops beschäftigten sich mit der Geschichte der Stadt während der Schoa, besuchten eine lokale Initiative, die wie CEJI Brücken zwischen Juden und Muslimen baut, und fanden bei Stadtspaziergängen ermutigende Vorbilder: etwa eine verschleierte Muslimin, die in einer jüdisch geführten Apotheke arbeitet.
Dass auch in Amsterdam Juden von Muslimen auf offener Straße bedroht wurden, wollen die CEJI-Mitarbeiter nicht verharmlosen. »Aber verglichen mit der Situation in Frankreich und Belgien ist es hier deutlich besser«, sagt Lecesne.
Gefragt nach dem Fazit des Workshops, antwortet einer der Teilnehmer, François Mawet, ein belgischer Sozialarbeiter: »Ich wurde für das Thema sensibilisiert. Es war eine gute Gelegenheit, bestimmte Einstellungen zu korrigieren.«