Tagung

Damen, Ladys, Chawerot

Begegnung: Bei der europäischen WIZO-Konferenz traf die Politikerin Hilde Schramm (3.v.l.) auf Diana Schnabel (4.v.l.) Foto: Uwe Steinert

Bente Kahans Stimme ist stark. Mit voller Kraft trifft sie scheinbar unerreichbar hohe Töne – und bricht sogleich wieder in ein trauriges Moll um. Kahan singt auf Jiddisch. Und das derart leidenschaftlich, dass die Zuhörer eigentlich gar keinen Text bräuchten, um den Inhalt des Liedes zu verstehen. Sie erklärt ihn trotzdem: »Ein Lehrer sagt seinem Schüler, dass er lernen soll.« Sein Vater habe viel Geld in die Ausbildung investiert, das solle sich nun auch in der Karriere des Sohnes widerspiegeln. »Aber egal, was du werden willst: Arzt oder Jurist – vergiss nie, woher du kommst«, zitiert die norwegische Sängerin und Schauspielerin, die heute in Breslau lebt, aus dem jiddischen Lied.

Herkunft und Identität waren nur zwei Themen der Europäischen Konferenz der WIZO (Women International Zionist Organization). Das jährliche Treffen ging am Montagnachmittag in Berlin zu Ende. Frauen aus 15 Ländern nahmen daran teil, darunter zum ersten Mal eine WIZO-Gruppe aus Österreich. Für Diana Schnabel, Präsidentin von WIZO Deutschland, war das Treffen in Berlin mit »ganz besonderen Gefühlen« verbunden. »Dass wir an diesem Ort, an dem Geschichte an so vielen Ecken zu sehen und zu spüren ist, tagen, ist ein Sieg über die Vergangenheit«, sagte die 58-jährige Frankfurterin am Sonntagvormittag auf einer Stadtrundfahrt mit den Teilnehmerinnen.

Antisemitismus Bella Danowsky von der schwedischen WIZO hat diese Fahrt sehr beeindruckt. Verbindet sie doch mit dem Tagungsort vor allem die Geschichte ihres Vaters, der in der Mommsenstraße in Charlottenburg aufwuchs. »In den 80er-Jahren bin ich in Berlin gewesen und war sogar in der alten Wohnung, in der mein Vater aufgewachsen ist. Das war eindrucksvoll«, erzählt Danowsky.

Sie lebt heute in Malmö, einer Stadt, in der es heftige antisemitische Tendenzen gibt. »Wir sind nicht bedroht, aber gerade die Stimmung gegenüber Juden ist bei jüngeren Migranten aus muslimischen Ländern alles andere als freundlich.« Auch deswegen sei Danowsky hier, um sich mit den anderen Teilnehmerinnen darüber auszutauschen, wie es in ihren Ländern sei. Oft spiele bei Antisemitismus auch die ökonomische Situation im Land eine große Rolle, sagt sie.

Das weiß auch Marija Salom aus Belgrad. In den Kriegsjahren Mitte der 90er gab es »einige schlimme Dinge«. Heute mache ihr die Wirtschaftslage in Serbien Angst – das Durchschnittseinkommen liege bei 330 Euro –, denn allzu leicht könne die bislang gute Stimmung gegenüber Juden umkippen. »Wir haben keinerlei Probleme, uns als Juden zu erkennen zu geben«, betont Salom. Und dann erzählt sie vom großen Potenzial der WIZO in Serbien. »Frauen setzen sich für viele Sachen in den Gemeinden ein: für die Arbeit mit Kindern, für die Altenbetreuung und das alltägliche Geschehen.« Zwei Gemeinden in Serbien hätten sogar weibliche Vorsitzende. Diana Schnabel würde sie »Powerfrauen« nennen, die neben den Soft Skills auch mit den harten Fakten umgehen müssen.

Heather Nahmias, die WIZO-Vorsitzende aus Griechenland, benennt die Situation in ihrem Land ganz offen: »Wir erwähnen das Wort ›zionistisch‹ einfach nicht.« Es gebe keinerlei Bedrohung, aber »wir sind immer vorsichtig und auch aufmerksam, mit wem wir sprechen«, betont die gebürtige Britin.

»Antisemitismus und Israelfeindlichkeit sind die Themen, die bei unserer Konferenz im Mittelpunkt stehen«, sagte Diana Schnabel. Aber auch die immer wieder gestellte Frage: Wie kann man nach der Schoa in Deutschland bleiben? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Aber um eine Idee zu vermitteln, warum sich Überlebende entschlossen haben, nicht auszuwandern, sahen die Teilnehmerinnen der Konferenz am Sonntagabend den Dokumentarfilm Jealous of the birds des Regisseurs Jordan Bahat. »Unsere Frauen waren alle sehr berührt«, sagt Schnabel. Keiner hätte danach die Frage nach Bleiben oder Gehen gestellt – alle hätten verstanden.

Geschichte Auch der Vortrag von Hilde Schramm, der Tochter des Nazi-Architekten Albert Speer, über ihre Herkunft, ging den Teilnehmerinnen nahe. »Es war beeindruckend«, sagte Bella Danowsky. Schramm, die von der jüdischen Lehrerin Dora Lux unterrichtet wurde und eigentlich erst dadurch bewusst mit der Geschichte – auch mit der eigenen – in Berührung kam, sprach darüber, dass es »ein Privileg war, zu wissen, was mein Vater getan hatte«. Privileg, weil sie sich mit diesem Wissen klar gegen Rassismus und Antisemitismus stellen konnte.

»In vielen Familien war das anders«, betonte Schramm. Dort habe man die Vergangenheit vor den Kindern nicht erwähnt. Offen über die Zeit des Nationalsozialismus wurde zwar auch bei den Schramms zu Hause nicht gesprochen. »Allerdings hat unsere Mutter nie Druck auf uns ausgeübt – sie hat uns irgendwie allein damit gelassen, das NS-System aber nie verteidigt«, sagte die Grünen-Politikerin, die auch Mitbegründerin der »Stiftung Zurückgeben« ist, die jüdische Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen in Deutschland unterstützt.

Lebensläufe Viele Biografien waren auf der zweitägigen Konferenz zu hören. Die der Literaturwissenschaftlerin Elvira Grözinger zum Beispiel, die am 9. November 1967 von Israel nach Deutschland kam – und blieb. Für Grözinger ein symbolisches Datum. »Damals konnte man noch durch Berlin laufen und Hebräisch sprechen, ohne dass jemand es verstanden hätte – heute ist das anders«, sagte Grözinger und spielte damit auf die vielen Israelis an, die heute in der Hauptstadt leben. Für sie sei es eine Frage des Selbstrespekts, für Israel einzustehen, betonte Grözinger in ihrem Vortrag »Why I raise my voice on behalf of Israel«. Man müsse sich immer vor Augen führen, dass das Land allein sei und Hilfe braucht.

www.wizo.org

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