»Das Ziel einer für alle offenen jüdischen Bewegung steht im Mittelpunkt aller unserer Maßnahmen« – so beschreibt Rabbinerin Charley Baginsky den Hintergrund einer wichtigen Entscheidung. Baginsky ist Direktorin von Liberal Judaism, dem Verband liberal-jüdischer Gemeinden in Großbritannien.
Im vergangenen Herbst beschloss die liberale Rabbiner- und Kantorenkonferenz des Vereinigten Königreiches, dass sich Paare künftig auch dann offiziell unter einer Chuppa trauen lassen dürfen, wenn nur eine von beiden Seiten jüdisch ist. »Das ist ein symbolischer Akt«, sagt Baginsky. »Es ist die Akzeptanz und die Aufnahme des nichtjüdischen Lebenspartners und eine Bestätigung beider, gemeinsam einen jüdischen Haushalt zu führen.«
identität Das heiße jedoch nicht, dass Liberal Judaism von der nichtjüdischen Seite fordere, die eigene Identität aufzugeben. Was hier Vorrang habe, sei die Entscheidung individueller Rabbiner und Kantorinnen über wiederum individuelle Paare, erklärt Baginsky. »Es geht erst einmal darum, mit den Paaren überhaupt darüber zu sprechen, was der Zusammenschluss der beiden vorher unabhängigen Leben für sie bedeutet.« Über ihre Vorstellungen vom Leben sprächen die Paare dann oft während der Trauungsvorbereitungen, und sie schlössen Kompromisse, so Baginsky.
Am leichtesten gelinge dies Paaren, die auf der einen Seite jüdisch seien und auf der anderen Seite keiner Religion angehörten. »Vielen Menschen ohne Glauben sagt ein Leben nach jüdischen Werten zu.«
Wie es dann im Einzelnen aussehe, sei keineswegs von vornherein klar. Wenn beide am eigenen Glauben festhalten würden, sei es beispielsweise wichtig, vor allem Themen wie die Brit Mila anzusprechen, um spätere Konflikte zu vermeiden.
Vorbild Derartige Chuppas wie jetzt in Großbritannien gibt es seit einiger Zeit bereits in liberalen und progressiven Gemeinden in den Vereinigten Staaten. In Europa jedoch ist Liberal Judaism der erste jüdische Gemeindeverband, der diese Entscheidung getroffen hat. Segenssprüche für Ehepaare, bei denen ein Teil nichtjüdisch ist, hatte es bereits vorher gegeben.
Derartige Chuppas wie jetzt in Großbritannien gibt es seit einiger Zeit bereits in liberalen und progressiven Gemeinden in den Vereinigten Staaten.
Was es für diese Ehepaare dennoch auch heute noch nicht gibt, ist die eigentliche Eheschließung durch jüdische Religionsvertreter. Das darf ein Paar nach britischem Recht nur, wenn beide Seiten jüdisch sind. Ist dies nicht der Fall, muss die Ehe standesamtlich geschlossen werden. Dieser Trauung durch Beamte können danach von einer Rabbinerin oder einem Kantor ausgetragene jüdische Zeremonien folgen, und hier darf das Paar nun künftig eben auch unter einer Chuppa stehen.
»Sie symbolisiert, dass das Paar in einer öffentlichen Zeremonie von allen willkommen geheißen wird und mit allen in der Gemeinschaft verbunden ist«, sagt Rabbinerin Baginsky.
Tradition Die Entscheidung habe mit der Tradition des aus Deutschland kommenden Reformjudentums zu tun. »Das liberale Judentum sah schon immer die Kinder jüdischer Väter als gleichberechtigt an und öffnete sich auch gegenüber jenen, die sich von jüdischen Gemeinden distanziert hatten, etwa weil sie lesbisch, schwul oder transsexuell sind, oder gegenüber Menschen, die keinen jüdischen Hintergrund haben, aber nach einem spirituellen Lebenssinn suchen.«
Baginsky will die Öffnung dieser Art fortsetzen, auch in anderen Bereichen. Als Nächstes wolle man zum Beispiel die Art und Weise, wie farbige Juden und Jüdinnen in den Gemeinden oft behandelt werden, durchdenken und verändern. In der liberalen Gemeinde Kehillah North London wird es bald, mit voller Unterstützung von Liberal Judaism, einen Synagogengottesdienst geben, den ganz bewusst Gemeindemitglieder mit dunkler Hautfarbe leiten.