In Moskau haben sich Anfang dieser Woche rund 75 Rabbiner des Chabad-nahen Dachverbands FJC getroffen, um über die aktuelle Lage der jüdischen Gemeinschaft im Land zu beraten. Bei der Tagung wurde auch Kritik am früheren Moskauer Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt (er gehört nicht der Chabad-Lubawitsch-Bewegung an) geübt, der im März wegen seiner Haltung zur russischen Invasion der Ukraine aus Russland geflohen war und seit einigen Wochen auch nicht mehr das Moskauer Rabbinat anführt.
AUFGABE Bei der Eröffnung der Tagung erklärte Russlands Oberrabbiner Berel Lazar, der als Putin-nah gilt, dass die Rabbiner in Russland zwei wichtige Aufgaben zu erfüllen hätten: Sie müssten einerseits der jüdischen Gemeinschaft zeigen, dass sie für sie da seien. Andererseits müssten sie immer wieder die Notwendigkeit des Friedens betonen. Lazar hatte im Frühjahr vorsichtige Kritik am russischen Einmarsch durchblicken lassen.
»Die Hauptaufgabe der religiösen Führer ist es, immer für ihre Gemeinden da zu sein.« Ein Rabbiner könne im Gegensatz zu einem Geschäftsmann nicht einfach umziehen, wenn die Zeiten schwieriger würden, so Lazar. »Ein Rabbiner sollte immer bei seinen Juden sein, auch in schwierigen Zeiten«.
Auf der Konferenz verabschiedeten die Rabbiner eine Resolution, in der sie zum Frieden aufriefen: »Wir rufen die führenden Politiker der Welt auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Frieden zwischen den Nationen zu schaffen. Frieden ist ein göttlicher Wert und die Grundlage für die Existenz der Menschheit in der Welt«. Kritik an der Politik des Kremls äußerten sie allerdings nicht. Immerhin: In der Erklärung des Verbandes wurde der russische Angriffskrieg als »Invasion« bezeichnet, im Gegensatz zum in Russland verbreiteten Wort von der »speziellen Militäroperation«.
GRUSSBOTSCHAFTEN Der israelische Botschafter in Russland, Alexander Ben Zvi, trat ebenfalls bei dem Treffen in der 1927 erbauten Marina-Roscha-Synagoge auf und verlas dort ein Schreiben von Staatspräsident Isaac Herzog. Rund russische 20.000 Juden haben seit dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine das Land Richtung Israel verlassen. Rund zehnmal so viele leben aber weiterhin in Russland, vor allem in den größeren Städten des Landes.
Natan Sharansky, jüdischer Dissident in Sowjetzeiten und in den 80er- Jahren einer der ersten Juden, dem die Ausreise nach Israel gestattet wurde, schickte ebenfalls eine Grußbotschaft. »Heute machen Sie, die Rabbiner Russlands, eine schwierige Zeit durch.« Die Arbeit der jüdischen Gemeinden vor Ort müsse sowohl in Russland als auch in der Ukraine fortgesetzt werden. Ebenso wichtig sei es, so der ehemalige Chef der Jewish Agency, die jüdische Gemeinschaft insgesamt zu stärken – »zur Rettung der Verbindung, die jede jüdische Familie mit unserer Tradition, unserem Volk und unserem Land hat.«
Sharansky endete seinen Brief mit den Worten: »Ich sende jedem einzelnen der Rabbiner und Rebbetzinen Russlands meine wärmsten Wünsche und herzlichsten Grüße. Ich möchte, dass sie alle wissen, dass sie, wie die Rabbiner in der Ukraine, an vorderster Front des Kampfes für die Zukunft unseres Volkes stehen – gemeinsam mit Israel.« mth