Martin Sellner ist das fesche Gesicht der jungen Rechten in Österreich. Statt Glatze und Springerstiefeln trägt der 30-jährige Wiener mit der Hornbrille eine Undercut-Frisur und modische Sneakers. Er ist Chef der sogenannten Identitären Bewegung, einem 2012 von dem Rechtsextremisten Alexander Markovics gegründeten »Verein zur Erhaltung und Förderung kultureller Identität«, dessen knapp 600 Personen zählende Anhängerschaft sich laut dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) als »letzte Generation« versteht, die den »Niedergang des ›Abendlandes‹ abwenden könne«.
Die politische Heimat der neurechten Hipster ist in den deutsch-völkischen Burschenschaften Österreichs zu suchen.
Martin Sellner hat ein Problem. Seit bekannt wurde, dass er von Brenton Tarrant, dem Attentäter von Christchurch in Neuseeland, im Januar eine Spende in Höhe von 1500 Euro erhalten hat, droht den Identitären ein Verbot. Es werde geprüft, so Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), ob es sich bei ihnen um eine »terroristische Vereinigung« handele.
Hakenkreuze Aber nicht nur das bereitet Sellner gerade Kopfzerbrechen. So tauchte ein Polizeiprotokoll von 2006 auf, wonach er Plakate mit Hakenkreuzen auf die Mauer der Synagoge in Baden bei Wien geklebt hatte, womit er sich damals eine Strafe von 100 Stunden Hilfsarbeiten auf dem jüdischen Friedhof einhandelte. Seine »Jugendsünde« will so gar nicht in das Bild passen, das Sellner von sich und seiner Bewegung zu verbreiten versucht.
Pikanterweise hatte er nur wenige Tage zuvor in der Sendung Fellner! Live auf oe24.TV jegliche Verbindungen zu nationalsozialistischem Gedankengut weit von sich gewiesen – und das nicht zum ersten Mal. So schrieb er einmal: »Unsere Faustregel lautet: keine Zusammenarbeit mit und klare Abgrenzung zu allen Personen und Gruppen, die offen oder ›konkludent‹ in der Tradition des NS stehen. Dieser Grundsatz, gepaart mit intensivem Aktivismus und klaren, radikalen Botschaften gegen Multikulti, stellt ein Novum im aktivistischen, rechten Lager dar.«
Doch überzeugend klingt das alles nicht. Schließlich ist die politische Heimat der neurechten Hipster in den deutsch-völkischen Burschenschaften Österreichs zu suchen. »Und der Antisemitismus gehört in diesen Milieus quasi zur DNA«, betont Erich Nuler. »Die Feindschaft gegen Juden ist ein Teil ihres ideologischen Kerns«, sagt der Journalist und Mitglied im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. »Außerdem waren diese Verbindungen immer schon ein Rekrutierungspool für die Neonazi-Szene in Österreich.«
Der Antisemitismus gehört in diesen Milieus quasi zur DNA.Erich Nuler
Personen aus dem Umfeld der österreichischen Identitären sind regelmäßig auf Konferenzen mit Neonazis und Antisemiten zu sehen. Jüngstes Beispiel: Sellners Kumpel Martin Semlitsch, unter dem Pseudonym Martin Lichtmesz publizistisch sehr aktiv, war erst im März auf Vernetzungstreffen in Skandinavien, wo sich, angefangen mit dem Briten Mark Collett, der sich gern über den »jüdischen Einfluss in der Flüchtlingskrise« auslässt, das Who’s who der Neurechten traf.
Burschenschaften Trotz der gemeinsamen Wurzeln in der Burschenschaftenszene gibt es Unterschiede zwischen den Rechten, wie man sie aus der FPÖ und ihrem Umfeld kennt, sowie den Identitären. »Die Denkfigur der deutschen Volksgemeinschaft ist für sie weit weniger zentral«, erklärt Bernhard Weidinger, Rechtsextremismusexperte im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). »Bezugspunkte sind für sie vor allem Heimat und eine ethnische Homogenität des Staatsvolkes.«
In diesem Kontext sei »viel vom ›großen Austausch‹ die Rede«. Diese auf den französischen Rassisten Renaud Camus zurückgehende Verschwörungstheorie besagt, dass es eine Art Masterplan gebe, wonach die autochthone Bevölkerung durch fremde, zumeist muslimische Zuwanderer gezielt verdrängt werde.
Gegenüber Juden halten sich die Identitären in ihrer Rhetorik auffallend zurück. Auch explizite Äußerungen, wodurch die Schoa geleugnet oder relativiert wird, finden sich bei ihnen nicht. »Sehr wohl aber die Kritik am sogenannten Schuldkult und Forderungen nach einem Schlussstrich.« Exemplarisch dafür ein Zitat: »Die identitäre Idee ist die überfällige und offene Antwort auf die Schoa und den Nationalsozialismus, anstatt in einem kulturellen Selbsthass als ›ewiges Tätervolk‹ und moralische Instanz der Erde nur seine Spiegelung zu sein.«
Judenfeindschaft kommt also eher am Rande oder kodiert zum Ausdruck, beispielsweise in Angriffen auf den amerikanisch-jüdischen Philanthropen George Soros. Dafür strotzt ihr Antiamerikanismus vor Begrifflichkeiten, die antisemitisch grundiert sind. In der Diktion der Identitären sind die Vereinigten Staaten »kulturlos« oder »kulturzerstörend«. »Der Materialismus und Hedonismus gehört ebenso zu ihren Feindbildern wie der Liberalismus westlicher Prägung ganz generell«, so Weidinger.
Gegenüber Juden halten sich die Identitären in ihrer Rhetorik auffallend zurück.
»Rhetorisch umgeht man bei den Identitären den Antisemitismus weitaus geschickter als bei den Vertretern der FPÖ«, lautet dazu die Einschätzung von Denise Landau. »Sie sind bei dem Thema weniger greifbar«, so die Obfrau des Forums gegen Antisemitismus in Wien, einer Anlaufstelle zur Meldung judenfeindlicher Vorfälle. »Auch deshalb, weil sie auf den üblichen Social-Media-Kanälen nicht so viel Präsenz zeigen.«
Nur durch interne Kreise in der Bewegung wird informiert, was sich abspielt. Doch die Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen könnte sie dazu ermutigen, Grenzen zu verschieben, um zu sondieren, was alles möglich ist.
Verflechtungen Die Verflechtungen zwischen beiden sind vielfältig und alles andere als Einzelfälle. So hatte Identitären-Gründer Markovics einmal für die FPÖ kandidiert. Auch FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache fand stets lobende Worte: »Die Identitären sind eine parteiunabhängige nicht-linke Bürgerbewegung, welche ihren friedlichen Aktionismus (…) von den Linken entlehnt haben, welche im Gegensatz zu den Identitären oftmals jedoch leider gewalttätig handeln. Sie sind quasi junge Aktivisten einer nicht-linken Zivilgesellschaft.«
Genau deshalb kracht es gerade im Wiener Koalitionsgebälk. Bundeskanzler Kurz forderte Strache zu einer klaren Abgrenzung auf. »Wir wollen mit der Identitären Bewegung nichts zu tun haben«, erklärte jener dann auch Anfang April – nur um wenige Wochen später das rechtsextreme Schlagwort vom »Bevölkerungsaustausch« aufzugreifen. »Das ist ein Begriff der Realität. Wir wollen nicht zur Minderheit in der eigenen Heimat werden.« Das Thema ist also noch lange nicht ausgestanden.