Nach dem Urteil knallte es. Am 11. Juli hatte das Moskauer Kreismilitärgericht Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung NSO-Nord schuldig gesprochen und fünf der jugendlichen Gewalttäter für den Rest ihres Lebens hinter Gitter gesteckt. Sieben erhielten Haftstrafen zwischen zehn und 23 Jahren, einer fünf Jahre auf Bewährung. 27 Menschen sollen sie ermordet haben. Die Opfer waren fast ausnahmslos dunkelhäutige Zugereiste aus dem Kaukasus und Zentralasien.
In der Nacht nach dem Urteil explodierte ein Sprengsatz im Gebäude der Staatsanwaltschaft im Norden Moskaus. Drei Molotow-Cocktails setzten die Außenwand der Darkej-Schalom-Synagoge im nördlichen Stadtteil Otradnoje in Flammen. Weitere Gebäude wurden mit Hakenkreuzen beschmiert.
erklärung Vertreter der jüdischen Gemeinde in Russland verurteilten den Anschlag auf die Synagoge umgehend. Einen Zusammenhang mit dem Gerichtsurteil vom 11. Juli wollten sie jedoch nicht erkennen. »Wir sind nicht die Polizei und auch nicht die Staatsanwaltschaft. Bisher liegen keinerlei Beweise vor für einen Zusammenhang mit dem Urteil«, erklärte David Karpow, Rabbiner der Synagoge in Otradnoje.
Vertreter anderer Organisationen beließen es bei vagen Andeutungen auf die möglichen Täter: »Ziel solcher Aktionen ist es, die Menschen einzuschüchtern und die Entschlossenheit der Gesellschaft zum Kampf gegen Nationalismus und Extremismus zu schwächen«, hieß es in einer Pressemitteilung der Föderation der Jüdischen Gemeinden Russlands (FEOR).
Möglicherweise motiviert die jüdischen Organisationen in Russland die Sorge vor weiteren Ausschreitungen und Anschlägen, den Vorfall so zurückhaltend zu kommentieren. Dafür spricht auch die Aussage eines Mitglieds einer großen jüdischen Organisation. Die Atmosphäre solle nicht unnötig aufgeheizt werden, sagte der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.
Der Präsident des Russischen Jüdischen Kongresses (REK) Juri Kanner relativierte den Moskauer Anschlag und verglich ihn mit dem Brand einer Synagoge in Manhattan am selben Tag. »Dort halten sich die Betroffenen mit Kommentaren zurück«, betonte Kanner im Interview mit dem Fern- sehsender »Doschd«. In beiden Fällen verbiete die Beweislage derzeit Rückschlüsse auf die Täter.
sorge Grund zur Sorge gibt es laut Alexander Werchowski in jedem Fall. Der Direktor des »Sowa«-Zentrums für die Erforschung von Nationalismus und Xenophobie schätzt die Anzahl der rechtsextremen Gewalttäter in Russland auf 10.000 bis 15.000. Man müsse konsequenter gegen Rechtsextreme vorgehen. 2009 konnten 168 Täter verurteilt werden, 2010 seien es bereits 320 gewesen. Die Anzahl der Morde sei aber von 116 im Jahr 2008 auf 37 im Jahr 2010 zurückgegangen.
Die Gesamtzahl der Opfer rechtsextremer Gewalttaten blieb jedoch weitgehend stabil. »Das Problem des Nationalismus in Russland hat mittlerweile ein derartiges Ausmaß angenommen, dass das härtere Vorgehen der Staatsorgane nicht mehr ausreicht«, meint Alexander Werchowski.