Europa

Brain Date statt Blind Date

Es ist der Tag nach dem Gedenken an die Pogromnacht. Mitten in Berlin, am Mercedes-Platz, treffen sich in einer Bar hoch oben über den Dächern der Stadt rund 60 junge jüdische Erwachsene aus 17 Ländern. Sie blicken hinab auf die East Side Gallery und denken an den Mauerfall vor 30 Jahren. Doch sie sind nicht angereist, um in der Geschichte zu verharren, sondern haben die Zukunft im Blick, sie wollen nach vorn schauen und Neues ausprobieren.

Sie alle sind Mitglieder der sogenannten ROI Community, eines internationalen »Netzwerks von Aktivisten und Veränderern, die das jüdische Engagement für eine neue Generation von Weltbürgern neu definieren wollen«. So steht es auf der Website der Schusterman Foundation, die die Community gegründet hat und nach wie vor finanziert.

Die jungen Mitglieder kommen aus den unterschiedlichsten Berufsfeldern, sie sind Ingenieure, Künstler, Gemeindefunktionäre, Ärzte, Anwälte oder Regierungsangestellte.

Die jungen Mitglieder kommen aus den unterschiedlichsten Berufsfeldern, sie sind Ingenieure, Künstler, Gemeindefunktionäre, Ärzte, Anwälte oder Regierungsangestellte. »Die Vielfalt soll möglichst groß sein«, sagt No’a Gorlin, die Geschäftsführerin der ROI Community.

Gorlin ist aus Jerusalem angereist, um bei einem neuen Veranstaltungsformat dabei zu sein: der »Brain Date Extravaganza«. Hinter dem klangvollen Namen verbergen sich 30-minütige Einzelgespräche, die Mitglieder der ROI Community mit Fachleuten über bestimmte Themen oder Bereiche führen.

»Die Teilnehmer bestimmen das Thema«, sagt Gorlin. Dabei gehe es vor allem um die Zivilgesellschaft, jüdisches Leben und sozialen Wandel. »Das Ziel ist, zu lernen und zu lehren.«

Themen Im Vorfeld loggen sich die Teilnehmer in einen geschlossenen Bereich der ROI-Website ein und bieten jeweils ein Thema an, das sie einem Gesprächspartner vermitteln möchten. Andere Teilnehmer buchen dann eines dieser Gespräche.

»Die Themenvielfalt ist groß«, sagt Gorlin. »Sie reicht von ›Wie sich persönliche Stärke nicht ängstigend auf das Team auswirkt‹ über Ernährungsthemen und Storytelling bis hin zu Fragen, wie man die Tora für die säkulare Welt relevant macht oder was es heißt, im Berufsleben in Deutschland jüdisch zu sein.«

Einer der Teilnehmer ist Ilias Saltiel. Der 30-jährige Ingenieur aus Athen nahm am Sonntag in Berlin an vier sogenannten Brain Dates teil. Er sprach mit einem Yogalehrer und unterhielt sich mit dem pä­dagogischen Leiter einer jüdischen Organisation über das Verhältnis von Curricula und informellem Lernen – Themen, mit denen er sonst kaum zu tun hat.

Auch Jasmine Bakalarz suchte, um ihren Horizont zu erweitern, anfangs nach Gesprächspartnern, von denen sie etwas lernen konnte, das außerhalb ihrer Berufswelt liegt. Die 34-jährige Argentinierin ist Künstlerin und arbeitet vor allem zum Thema »Erinnern«. Beim Sichten der Teilnehmerliste und der Angebote stieß sie, wie sie sagt, »auf etwas ganz Seltenes«: auf einen Wiener Künstler, der sich mit demselben Thema beschäftigt wie sie. »Das war so interessant und bereichernd für mich«, schwärmt sie. »Er arbeitet mit den Mitteln der Performance. Wir haben darüber diskutiert, inwiefern Künstler in den Prozess der öffentlichen Erinnerung einbezogen sein sollten.«

Format Für Bakalarz und Saltiel war es das zweite Mal, dass sie an Brain Dates teilnahmen. Das Format gibt es erst seit diesem Jahr. Premiere hatte es im Januar in Tel Aviv. Im Mai gab es dann den zweiten Durchlauf mit vor allem nordamerikanischen Mitgliedern der ROI Community in New York, und jetzt fand es erstmals in Europa statt.

Der Zuspruch reißt nicht ab. Inzwischen hat es mehr als 3200 Brain Dates mit über 1100 Teilnehmern gegeben.

Geschäftsführerin Gorlin hofft, dass es im nächsten Jahr auch eine Extravaganza in Lateinamerika geben wird, denn das Format sei sehr gefragt.

Nachdem es seit 2015 auf den Jahrestreffen der Community in Jerusalem immer wieder Brain Dates gegeben hatte, kam die Idee auf, die 30-minütigen Einzelgespräche weltweit im Rahmen eigener Veranstaltungen durchzuführen. Offenbar mit Erfolg. Denn der Zuspruch reißt nicht ab. Inzwischen hat es mehr als 3200 Brain Dates mit über 1100 Teilnehmern gegeben.

Doch wie schafft man es, der ROI Community beizutreten? Jedes Mitglied könne einmal im Jahr eine Person vorschlagen, sagt Gorlin. »Für die jährlichen Global Summits gehen rund 600 Bewerbungen bei uns ein – 150 können wir positiv beantworten.«

www.schusterman.org

USA

Der Lautsprecher

Howard Lutnick gibt sich als Architekt der amerikanischen Zollpolitik. Doch der Handelsminister macht sich mit seiner aggressiven Art im Weißen Haus zunehmend Feinde

von Sebastian Moll  18.04.2025

Ungarn

Die unmögliche Geige

Dies ist die zutiefst berührende Geschichte eines Musikinstruments, das im Todeslager Dachau gebaut und 70 Jahre später am Balaton wiedergefunden wurde

von György Polgár  17.04.2025

Medien

Noa Argamani ist auf der »Time 100«-Liste

Alljährlich präsentiert das »Time Magazine« die 100 einflussreichsten Menschen der Welt. 2025 ist auch eine freigelassene israelische Geisel dabei

 17.04.2025

USA

Neuauflage von Weinstein-Prozess startet

Vor gut einem Jahr überraschte ein Gericht in New York die Welt und hob das historische Vergewaltigungsurteil gegen Harvey Weinstein auf. Nun wird über die Vorwürfe erneut verhandelt

von Benno Schwinghammer  14.04.2025

Türkei

Die Optimistin

Liz Behmoaras schrieb über das jüdische Leben im Land – und für das Miteinander. Ein Nachruf

von Corry Guttstadt  14.04.2025

Ägypten

Gefährliches Paradies

Der Sinai ist einer der wenigen Urlaubsorte im Ausland, den Israelis auf dem Landweg erreichen können. Gern auch zu Pessach. Aber zu welchem Preis?

von Matthis Kattnig  11.04.2025

Feiertag

Putzen, Plagen, Playmobil

Neben Mazza und Haggada bietet Pessach Raum für ganz neue, individuelle Rituale. Wir haben uns in sieben Familien in Europa und Israel umgehört

von Nicole Dreyfus  11.04.2025

Israel-Boykott

Johnny Rotten nennt Hamas »einen Haufen von ›Judenvernichtern‹ «

Eine irische Zeitung hat versucht, den Ur-Punk Johnny Rotten vorzuführen, der sich kraftvoll gegen einen Boykott Israels wehrt. Das ging gründlich schief

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025

USA

Eine Hochschule und ihr LGBTQ-Klub

Die einen feiern den »Meilenstein für queere Juden«, die Yeshiva University rudert zurück. Nicht nur die orthodoxe Gemeinschaft ist verwirrt

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025