Wir müssen uns anschauen, was genau gegründet wird, und nicht so sehr, wer es gründet», meinte Rabbiner Slomó Köves vor einigen Wochen auf einer Pressekonferenz. «Die Geste des Staates, ein Holocaustmuseum zu gründen und es zusammen mit den jüdischen Gemeinden zu betreiben, ist ein Aufruf zur Zusammenarbeit.»
Köves leitet den an Chabad angegliederten Verband EMIH (Vereinigte Israelitische Glaubensgemeinde Ungarns), der sich als Alternative zum Dachverband der jüdischen Gemeinden Mazsihisz versteht.
EMIH hatte kurz davor bekannt gegeben, zusammen mit der ungarischen Regierung an dem umstrittenen Projekt des Holocaustmuseums arbeiten zu wollen. Daraufhin gaben Regierungsvertreter dem vor vier Jahren fertiggestellten, aber noch nicht eröffneten «Haus der Schicksale» grünes Licht. Die Bedingung, dass eine jüdische Organisation das Projekt mitbetreibt, sei nun erfüllt. Das Museum soll 2019 eröffnet werden.
horthy Was genau gegründet wird, ist auf den ersten Blick und rein theoretisch unproblematisch und sogar begrüßenswert. Eine große, sachliche Dauerausstellung über den Holocaust in Ungarn hätte es tatsächlich längst geben müssen, zumal das Thema vor der Wende so gut wie gar nicht, und danach meistens nur auf eine sehr politisierte Art und Weise diskutiert und aufgearbeitet wurde.
Das konservative Lager erkennt bis heute nicht an, dass das Land spätestens seit den 20er-Jahren ein strukturelles Antisemitismusproblem hat, dass die Judenfeindlichkeit in den 30er-Jahren unter dem rechtsnationalen Autokraten Miklós Horthy eskalierte und dass es während des Zweiten Weltkriegs Massenmorde, Pogrome und Deportationen in ungarischer Regie oder auf ungarische Initiative gab.
Stattdessen wird die unschuldige Heimat als Opfer Nazi-Deutschlands präsentiert – genauso wie es das 2014 errichtete Denkmal auf dem Budapester Freiheitsplatz macht. Es zeigt einen Adler, der einen Engel angreift.
dachverband Das Denkmal ist auch einer der Gründe, warum der jüdische Dachverband Mazsihisz und das Simon-Wiesenthal-Zentrum damals beschlossen haben, jede weitere geschichtspolitische Geste der rechtspopulistischen Regierung Viktor Orbáns zu boykottieren. Vor diesem Hintergrund steht es für viele außer Frage, dass das «Haus der Schicksale» nur ein weiterer Schritt in die gleiche Richtung sein und Ungarns Beteiligung am Holocaust ebenfalls leugnen wird.
Das (auch ästhetisch fragwürdige) Denkmal steht immer noch – trotz heftiger Proteste von Historikern und Intellektuellen, Zivilgesellschaft und der überwiegenden Mehrheit der jüdischen Gemeinde. Es ist «allen Opfern» der deutschen Besatzung Ungarns gewidmet und klammert so viel Grundsätzliches aus, dass es nur als dreiste Lüge eingestuft werden kann. Die «Heimat» war nämlich von Anfang an außenpolitisch und ideologisch verbündet mit dem Hitler-Regime, sie war selbst eine faschistisch geprägte Diktatur – und schickte längst vor der Besetzung durch die Wehrmacht (1944) ihre jüdischen und oppositionellen Töchter und Söhne in den Tod.
Auch danach waren die systematischen Deportationen in die Konzentrationslager nur möglich, weil breite Teile der ungarischen Gesellschaft mit der faschistischen Pfeilkreuzler-Regierung von Ferenc Szálasi kollaborierten.
grundtenor Wer das neue Museum gründet, betreibt und leitet, ist insofern relevant, als es eine Idee über den Grundtenor der künftigen Ausstellung gibt. Das wird nämlich nicht irgendein regierungsnaher konservativer Intellektueller sein, sondern Mária Schmidt, Viktor Orbáns Hofhistorikerin höchstpersönlich. Sie leitet seit 2002 bereits das «Haus des Terrors», ein anderes Museumsprojekt, das schon damals Gegenstand heftiger Diskussionen war.
Ein Teil der dortigen Ausstellung ist dem Holocaust und dem faschistischen Terror gewidmet, ein anderer den Verbrechen während der stalinistischen und poststalinistischen Diktatur.
Neben der etwas kitschigen Form der Präsentation beklagen Kritiker bis heute vor allem eine der Grundideen dieses Museums, nämlich das gleiche konservative Klischee der unschuldigen Heimat als Opfer böser ausländischer Mächte. Weder der Faschismus noch der Stalinismus werden als ungarische Phänomene präsentiert, die in einem bestimmten internationalen und machtpolitischen Kontext, aber auch vor einem bestimmten internen, sozialen und gesellschaftlichen Hintergrund analysiert werden müssen. Stattdessen erscheinen sie eher als fremde Faktoren, die Ungarn traumatisiert haben, ungefähr so, wie eine Vergewaltigung jemanden traumatisieren kann.
Diskurs Weil kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass das neue «Haus der Schicksale» eine detailliertere Fortsetzung des gleichen Diskurses sein wird und da die künftige Direktorin Mária Schmidt auch sonst immer wieder durch problematische Äußerungen auffällt, hielten breite Teile der parlamentarischen Opposition und der Zivilgesellschaft die jüdische Boykottentscheidung für richtig.
Bis September wirkte diese Blockadehaltung, weil das Thema zu heikel war und die Orbán-Regierung keinen Alleingang riskieren wollte. Die überraschende Ankündigung des EMIH-Verbands bietet den Budapester Machthabern nun die Chance, ihr Projekt endlich zu verwirklichen. Beobachter halten es für unwahrscheinlich, dass sich Mária Schmidt von Rabbiner Köves belehren lässt und einen kritischeren und analytischeren Grundtenor für ihre Ausstellung akzeptiert.
Deshalb zeigte sich auch der Mazsihisz-Vorsitzende András Heisler «sehr enttäuscht» über den Schritt des Konkurrenz-Verbandes EMIH. «Wir fühlen uns dadurch nicht repräsentiert und glauben nach wie vor, dass dieses neue Museum mehr Schaden als Nutzen bringen wird», kommentiert Heisler. «Die Regierung bricht ihr Versprechen, die Vertreter der jüdischen Gemeinde einzubeziehen.» Damit geht der Streit darüber, wer die jüdischen Gemeinden in Ungarn repräsentiert, in eine weitere Runde.