Es gehe um das »Saatbeet unserer Gemeinschaft«. So nannte Michael Siegal, Vorsitzender der Jewish Federations of North America, kürzlich die jüdische Vorschule. Er hat versprochen, innerhalb der nächsten zehn Jahre eine Milliarde Dollar für einen »Revitalisierungsplan« zu beschaffen, in dessen Zentrum die unentgeltliche Vorschulerziehung stehen soll. Jedes jüdische Kind in Amerika solle die Möglichkeit erhalten, eine jüdische Vorschule zu besuchen, sagte Siegal und fügte hinzu: »Auf diese Weise öffnen wir uns Generationen von aktiveren, unserer Gemeinschaft enger verbundenen, kurz: jüdischeren Juden.«
Viele Experten für frühkindliche Erziehung halten Siegals Idee allerdings weder für wirksam noch für durchführbar. Bei einem Treffen der Alliance for Jewish Early Childhood Education diskutierten Vertreter mehrerer nationaler Organisationen, die mit jüdischen Vorschulen zusammenarbeiten, wie man aus Siegals Ankündigung das Beste machen könnte.
Qualität Laut Cathy Rolland, stellvertretende Vorsitzende der Allianz und bei der Union for Reform Judaism zuständig für frühkindliche Erziehung, hat Siegals Vorschlag »eine wichtige Diskussion angeregt«. Zahlreiche jüdische Erziehungsexperten sagten, Siegals Vorschlag habe sie völlig überrascht. Während sie alles daransetzten, Familien dazu zu bewegen, ihre Kinder in die Vorschule zu schicken, und der Idee einer Schulgeldbezuschussung durchaus aufgeschlossen gegenüberstünden, sähen sie es lieber, wenn das Geld in die Qualität der Schulen, in die Ausbildung und Bezahlung der Lehrer sowie in mehr Ganztagsprogramme, auch für Kleinkinder, gesteckt würde.
»Ich bin begeistert, dass das Thema jetzt auf der Tagesordnung steht«, sagt die Erziehungsberaterin Valerie Lustgarten, eine von fünf Gründungsmitgliedern von Paradigm Project, einer neuen Gruppe, die sich für eine jüdische Vorschulerziehung starkmacht. »Aber Geld ist dabei nicht das Wichtigste, sondern es geht um die Qualität und um die Einbeziehung der Eltern.« Lustgarten glaubt nicht, »dass sich künftig mehr Familien bei uns melden, nur weil es etwas umsonst gibt.«
Wirtschaftskrise Wie vielen Familien mit einer Milliarde Dollar geholfen werden kann, ist noch nicht klar. Laut der jüngsten Studie zum Thema aus dem Jahr 2008 besucht zwar die Mehrzahl der jüdischen Kinder eine Vorschule, doch nur weniger als ein Viertel nimmt an einem jüdischen Programm teil. Rolland schätzt, dass die Anmeldungen aufgrund der Wirtschaftskrise und des starken Angebots allgemeiner Vorschulprogramme in manchen Bundesstaaten seither zurückgegangen sind.
Untersuchungen zeigen, dass die jüdische Vorschule nicht nur für die Erziehung wichtig ist, sondern auch für die Bindung von Familien an die jüdische Gemeinschaft eine entscheidende Rolle spielt. 2010 beschrieb Mark Rosen von der Brandeis University in einer Studie, welch immense Bedeutung die ersten Jahre im Leben eines Kindes für die Festigung von Familienbindungen und Freundschaften haben.
Peter Blair, ein jüdischer Experte für frühkindliche Erziehung, ist überzeugt, dass frisch gebackene Eltern besonders offen dafür sind, ihre Bindung ans Judentum zu erneuern. »Viele hatten nach ihrer Bar- oder Batmizwa jahrelang nichts mehr mit dem jüdischen Leben zu tun. Wenn sie dann eigene Kinder haben, fangen sie an, sich darüber Gedanken zu machen, was es bedeutet, jüdische Kinder zu erziehen und was sie weitergeben möchten«, sagt Blair.
Inhalte Bei vielen jüdischen Organisationen stößt das Thema Vorschule allerdings bislang auf wenig Interesse. Die Gehälter für Vorschulerzieher sind niedrig, Qualität und jüdische Inhalte völlig uneinheitlich. Hinzu kommt, dass viele Gemeindezentren mit ihren Programmen für Vorschulkinder eher darauf aus sind, Profit zu erzielen, als dass sie Triebkraft sein möchten für eine stärkere Teilhabe am jüdischen Leben, denn darin müssten sie Geld investieren.
Maxine Handelman, Beraterin für frühkindliche Erziehung bei der United Synagogue of Conservative Judaism, meint, die Vorschulerziehung brauche dringend eine Koordinationsstelle, um Geld und Expertise zu generieren. »Das wäre ein bahnbrechender Fortschritt.« Oft sei es zwar das Schulgeld, das Familien davon abhält, ihre Kinder an einer jüdischen Vorschule anzumelden. Doch in den meisten Fällen spielen auch andere Gründe eine Rolle, erklärt Handelman: Mundpropaganda, Bequemlichkeit und das, was Freunde tun, sind Faktoren, die Eltern in ihrer Entscheidung, wo sie ihre Kinder anmelden, stark beeinflussen.
Shellie Dickstein, zuständig für frühkindliche Erziehung beim Jewish Education Project in New York, sagt, alle, die in diesem Bereich arbeiten, müssten sich »auch als Familiennetworker und ›Beziehungsaufbauer‹« verstehen, denn sie sollten die Eltern ans jüdische Leben binden und ihnen dabei helfen, mit anderen Eltern Freundschaft zu schließen. »Doch dafür brauchen die Erzieher die richtige Ausbildung.«