Vor vier Jahren stimmte ein nicht unwesentlicher Teil der rund 100.000 Juden Brasiliens für den rechtsextremen Jair Bolsonaro. Eine Gruppe von intellektuellen und politisch aktiven Juden möchte sichergehen, dass sich das bei den nächsten Wahlen im Oktober nicht wiederholt. Unter dem Titel »Judias e Judeus contra Bolsonaro e por Lula« (Jüdinnen und Juden gegen Bolsonaro und für Lula) verabschiedeten sie ein entsprechendes Manifest.
»Es fiel uns schwer, zuzugeben, dass viele einen Faschisten gewählt haben, dessen Werte schon immer (…) den jüdischen Werten entgegengesetzt waren«, heißt es darin. »Dennoch zogen es die Juden, die dem damaligen Kandidaten die Türen der Hebraica von Rio de Janeiro öffneten, um ihren Hass zu verbreiten, vor, ihre Ohren und Augen zu verschließen, auch wenn sie selbst Opfer von Diskriminierung waren.«
beifallsstürme Mit dem letzten Satz spielen sie auf eine Veranstaltung im Mai 2017 an. Damals stand Bolsonaro, noch Vorkandidat für die Präsidentschaftswahl, auf der Bühne des Clube Hebraica, einem großen jüdischen Verein im Stadtteil Laranjeiras von Rio de Janeiro, wetterte gegen Schwarze und Homosexuelle und schwärmte von General Carlos Brilhante Ustra, einem der berüchtigtsten Folterer der Militärdiktatur. Doch anstelle von Buhrufen, Entrüstung und Empörung erntete Bolsonaro Beifallsstürme und tosenden Applaus.
Während Bolsonaro im Innern des Klubs hetzte, demonstrierten vor der Tür andere jüdische Vereinsmitglieder gegen seinen Auftritt, sagt Jean Goldenbaum. Der Musiker und Politiker, der heute in Hannover lebt, gehört zu den Gründern der Gruppe.
»Wir alle wussten lange vor 2018, wer Bolsonaro war. Doch viele Juden handelten nicht wie Juden, sondern stimmten für den Faschisten oder zogen ihre Stimme zurück und ermöglichten damit seine Wahl«, heißt es in einem Manifest, zu dessen Initiatoren neben Goldenbaum auch der Antisemitismusforscher Michel Gherman sowie der in Israel lebende Betriebswirt Mauro Nadvorny zählen.
facebook-gruppe Dieser rief 2018 die Facebook-Gruppe »Judeus contra Bolsonaro« (Juden gegen Bolsonaro) ins Leben, aus der ein Jahr später die Pro-Lula-Gruppe entstand. »Wir hatten inzwischen gemerkt, dass wir unsere Unterstützung für (den früheren Präsidenten) Lula stärker zeigen mussten«, sagt Goldenbaum.
Bolsonaro spaltet Brasiliens jüdische Gemeinde.
Für ihre Haltung haben die Initiatoren in letzter Zeit auch viel Kritik aus den eigenen Reihen bekommen, vor allem vom jüdischen Dachverband Confederação Israelita do Brasil (Conib). Dieser hatte vor wenigen Wochen in einem Manifest seine Neutralität bekundet und betont, dass die jüdische Gemeinde keinen Kandidaten unterstütze.
Bolsonaro spaltet Brasiliens jüdische Gemeinde. Er gibt sich nach außen israelfreundlich und übte den Schulterschluss mit Trump und Netanjahu. Von Haus aus katholisch, ließ sich Bolsonaro im Jordan taufen, unternahm eine seiner ersten Reisen als Präsident nach Israel – doch leistete er sich dort sogleich einen Fauxpas: Er fabulierte bei seinem Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, die Nationalsozialisten seien Linke gewesen. Viele Juden stieß er damit vor den Kopf.
Bedrohung Für Michel Gherman ist Bolsonaro mit seiner biblischen, voraufklärerischen, monolithischen Interpretation des Judentums eine Bedrohung. »Ihm geht es darum, den Tod an die Stelle der Demokratie zu setzen, er weist Juden den Weg zurück ins Ghetto.« Der »gute Jude«, so drückt es Goldenbaum aus, »ist in den Augen Bolsonaros bewaffnet, weiß, ultrakonservativ und hasst Araber«.
Aus Bolsonaros Interpretation des Judentums ergeben sich zudem Anknüpfungspunkte mit einer wichtigen Unterstützergruppe des Rechtsextremen, den evangelikalen Pfingstkirchen. Zudem zählen zu Bolsonaros Anhängern Personen aus dem extrem rechten Milieu, die mit Antisemitismus keinerlei Probleme haben. Außerdem vernetzt er sich mit anderen Vertretern der internationalen Rechten. So erinnert Goldenbaum an ein Treffen Bolsonaros mit der AfD-Politikerin Beatrix von Storch in Brasilien.