Nach dem Erdbeben vergangene Woche rückt Italien zusammen: So chaotisch der Alltag in diesem Land oft ist, so groß ist das allgemeine Mitgefühl bei Unglücksfällen. Und: Gerade weil auf staatliche Strukturen teils nicht viel Verlass ist, herrscht in Italien ein umso stärkerer Sinn für ehrenamtliches Engagement. Die Nachricht von dem Erdbeben war erst wenige Stunden alt, die inzwischen auf 290 gestiegene Zahl der Todesopfer bei Weitem nicht absehbar, da rollten bereits die Hilfsinitiativen. Mit dabei jüdische Gemeinden und Einrichtungen.
Das Chabad-Haus an der römischen Piazza Bologna zählte zu den Ersten. »Wir haben sofort Hilfsorganisationen in Israel kontaktiert«, sagt Rabbiner Menachem Lazar, Ko-Direktor des Zentrums. Eine davon ist IsraAID, spezialisiert auf Bergung und psychologische Erstbetreuung. 24 Stunden später trafen 20 Freiwillige aus Israel in mehreren Teams in der Unglücksregion ein, errichteten Zeltunterkünfte und unterstützten lokale Such- und Rettungskräfte.
Solidarität Auch bei ZAKA, einer vorwiegend orthodoxen Organisation für die Bergung und Identifizierung von Toten und Verletzten, bemühte sich Rabbiner Lazar um Vermittlung. Allerdings lehnte der italienische Katastrophenschutz dankend ab – zu groß war binnen Kurzem die Welle der Solidarität, auch aus dem Ausland.
Die Union der jüdischen Gemeinden Italiens (UCEI) richtete ein Sonderkonto zugunsten der Geschädigten ein. Vor allem aber stieß der Verband noch am Mittwoch eine Blutspende-Aktion an: Bürger sollten im römischen Krankenhaus Fatebenefratelli und dem benachbarten Ospedale Israelitico Blut für die Verletzten spenden.
Beide Kliniken liegen auf der Tiber-Insel gegenüber der Synagoge – einem ganz zentralen Ort in der Stadt. Entsprechend groß die Resonanz: Die Transfusionsabteilung der Fatebenefratelli dehnte ihre Öffnungszeiten in den Abend aus, um den Anfragen von Spendern nachzukommen. Die Vatikan-Zeitung »L’Osservatore Romano« erwähnte die Initiative mit lobenden Worten.
Notstand UCEI-Präsidentin Noemi Di Segni erklärte, man habe »konkret und umgehend gegen den aktuellen Notstand aktiv werden« wollen. Dabei sind jüdische Einrichtungen nach bisherigem Stand von dem Beben nicht betroffen. Doch das Bergland Umbriens, Latiums und der Marken blickt auf eine lange jüdische Geschichte zurück: Sie reicht vermutlich fast zwei Jahrtausende zurück in die Zeit, als nach der Zerstörung Jerusalems und dem gescheiterten Bar-Kochba-Aufstand Zehntausende Juden aus der damaligen römischen Provinz Judäa nach Italien deportiert wurden.
So wird die mittelalterliche Chirurgenschule der Benediktinerabtei Sant’Eutizio im umbrischen Preci mit jüdischen Anatomen in Verbindung gebracht, und selbst die berühmte Wurstmachertradition um Norcia soll auf das Fachwissen zugewanderter Schächter zurückgehen.
Ab dem Mittelalter zeugen zahlreiche schriftliche Dokumente von einer breiten jüdischen Präsenz in den mittelitalienischen Bergen. Heute indessen sind einst blühende Gemeinden wie Perugia so gut wie ausgestorben; die nächsten Synagogen finden sich, fern der aktuellen Unglücksregion, erst in Ancona und Florenz.
Angesichts der vielen zerstörten Kulturgüter in den malerischen Bergstädtchen widmete Kulturminister Dario Franceschini die Einnahmen staatlicher Museen und Sehenswürdigkeiten vom vergangenen Sonntag den betroffenen Regionen. Das Jüdische Nationalmuseum in Ferrara griff die Anregung auf. Von einem regen Zulauf war anschließend die Rede. »Manche Besucher haben uns direkt auf die Spendenmöglichkeit angesprochen«, sagte eine Mitarbeiterin.
Naor Gilon, Israels Botschafter in Italien, beendete just in der Woche des Erdbebens seine vierjährige Dienstzeit in Rom. An seinem letzten Arbeitstag ging er zum Blutspenden in die Fatebenefratelli-Klinik. Es war sein Abschiedsgeschenk an das Land.