An seine »jüdischen Freunde« wandte sich der katholische Bischof von Antwerpen, Johan Bonny, vergangene Woche in einem offenen Brief, den die flämische Tageszeitung »De Standaard« veröffentlichte. Sehr freundschaftlich wirkten die Zeilen, die Bonny verfasste, aber nicht.
Ausgerechnet am 9. November, dem Jahrestag der November-Pogrome der Nationalsozialisten von 1938, zog er unausgesprochen eine Parallele zwischen dem Holocaust und dem Vorgehen der israelischen Armee gegen die Hamas im Gazastreifen. »Ich denke selten oder nie an Papst Pius XII. (1876-1958). Außer in den letzten Tagen und Wochen, seit den Gewalttaten der Hamas am 7. Oktober und den Bombenangriffen in Gaza.« Dem Kriegspapst Pius sei zu Recht vorgeworfen worden, sich als Papst zu wenig gegen »das mächtige Deutschland« widersetzt zu haben, so Bonny.
Um dann eine direkte Parallele zu ziehen zum Jetzt und Heute, denn schließlich, so der Bischof, sei es von der Vergangenheit bis zur Gegenwart ja »nur ein kleiner Schritt«. Bereits 4000 Kinder seien in Gaza schon gestorben, und der Westen reagiere nur widersprüchlich oder verwirrend darauf. Viele nähmen eine »neutrale« Position ein, während »die militärischen Großmächte die israelische Armee« unterstützten, mit der Begründung, alles sei doch »sehr komplex« und Israel sei eine »westliche Demokratie«.
Freund oder Feind
Bonny (68) wurde 2008 vom damaligen Papst Benedikt XVI. als 22. Bischof von Antwerpen eingesetzt. Die flämische Hafenstadt mit ihren 500.000 Einwohnern ist auch Heimat von rund 20.000 Juden. Er stehe, so der Bischof im »Standaard«, vor einem Dilemma. »Ich habe gute Bekannte in der jüdischen Gemeinschaft. Ich bin Mitglied des Beratungsorgans der Christen und Juden in Belgien. Soll ich sprechen oder schweigen?« fragte er. Und weiter: »Wer ist mein Freund oder mein Feind, wenn ich spreche? Es handelt sich in der Tat um eine komplexe Geschichte. Israel hat das Recht zu existieren und sich zu verteidigen, daran wird niemand zweifeln. Aber auch die Palästinenser haben das Recht zu existieren und sich zu verteidigen«, konstatierte der Bischof.
Leider seien aber alle Bemühungen, eine Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen, »systematisch und strategisch boykottiert« worden, so Bonny weiter - »bis eine vorhersehbare Explosion das ideale Alibi lieferte.« Dann kam er auf den Punkt: »Die Explosion ist passiert. Die Schlussoffensive scheint begonnen zu haben. Niemand glaubt mehr an eine friedliche Koexistenz im ehemaligen Mandatsgebiet Palästina. Die Kinder müssen sterben. Die jungen Leute müssen gehen. Die anderen werden sich radikalisieren (was sollten sie auch sonst tun?). Und nach Gaza wird das Westjordanland folgen. Wo bleiben die Menschenrechte, wo bleibt das Völkerrecht?«
Es bleibt zwar unausgesprochen, wem Bonny die Schuld zuweist. Aber dem Leser ist es auch so klar: Schuld ist für ihn in erster Linie Israel, und indirekt sind es auch die Juden.
Interreligiöser Dialog
Bonny, der in der Vergangenheit im interreligiösen Dialog engagiert war und als eher gemäßigter katholischer Geistlicher gilt, will nicht als Politiker erscheinen. Er unternimmt stattdessen einen Exkurs ins Theologische, was die Sache aber auch nicht unbedingt besser macht. »Als Bischof möchte ich mich auf meinen Bereich, den des Glaubens, beschränken. Christen und Juden teilen größtenteils die gleichen heiligen Schriften, die Bücher, die wir das Alte Testament nennen. Aber in unserer Interpretation dieser Schriften befinden wir uns seit dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi keineswegs auf demselben Weg.«
Der Unterschied zwischen den beiden Religionen betreffe keineswegs nur Nebensächlichkeiten, sondern berühre den Kern des Problems, so der Bischof, nämlich »die Tatsache, dass die Liebe Gottes und das Heil Gottes nicht mehr an ein bestimmtes Land, eine Rasse oder eine Kultur gebunden sind. Der Kern des Christentums ist die Universalität der Erlösung. Alle Rechte und Pflichten, die mit dem christlichen Glauben verbunden sind, haben eine universelle Bedeutung. Sie gehen über alle privaten Interessen hinaus, sogar über alle privaten religiösen Interessen.«
Daher gebe es nach christlicher Auffassung kein Wort Gottes im Alten Testament, das nach dem Tod und der Auferstehung Jesu eine gewaltsame Rückgewinnung oder eine militärische Expansion des sogenannten ›biblischen Landes‹ rechtfertigen könne. »Der Gott Israels ist der Vater aller Völker, wie es in der Genesis heißt. Es ist ärgerlich, dass einige politische und militärische Führer Israels biblische Themen missbrauchen, um ihre mörderischen Aktionen zu legitimieren.«
Mit diesen Aktionen schadeten die Israelis »dem Ansehen ihrer Religion und aller Weltreligionen« und, schlimmer noch, »pervertieren (sie) die Bedeutung der schönsten biblischen Ausdrücke wie die der Erwählung, des Bundes, des Versprechens, des Exodus, des Gelobten Landes oder auch des Jerusalems am Ende des Lebens. Sie verstärken den Eindruck, dass Religion mit Blut, Land und Gewalt verbunden ist.« Er sage das, betont Bischof Bonny noch, »als Christ«, und als solcher müsse man natürlich »auch mit unserer Vergangenheit vorsichtig umgehen«. Aber er sei nun mal der Botschaft des »Juden Jesus Christus aus Nazareth in Palästina« verpflichtet, fügt er an.
Israels Führung eine Mörderbande?
Was wohl seine »jüdischen Freunde« von diesem offenen Wort des Bischofs halten würden? Die Reaktion auf Bonnys Äußerungen ließ nicht lange auf sich warten. In der jüdischen Monatszeitschrift »Joods Actueel« fragte der langjährige Redakteur Guido Joris den Bischof rhetorisch: »Was haben die Juden von Antwerpen mit Israel zu tun? Sie sind doch nur belgische Landsleute, ganz einfach.« Er (Bonny) importiere damit den Nahostkonflikt nach Belgien. Weiter schrieb Joris: »Was Ihre Aussagen über Pius XII. betrifft, so hat er, gelinde gesagt, sehr spät reagiert, aber andererseits sehr schnell kollaboriert, um SS-Leute untertauchen zu lassen.«
Auch Bonnys »Auslegung des Alten Testaments« weise Unzulänglichkeiten auf. »Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die Kreuzzüge, die Inquisition, die Pogrome, die Morde der Nazis und andere Massaker nicht mit der Tora in der Hand stattgefunden haben, sondern mit Verweisen auf das Neue Testament und mit dem Koran in der Hand.« Jesus sei zudem Galiläer und nicht Palästinenser gewesen, denn der Name Palästina sei erst viel später entstanden.
Das Traktat des Bischofs sei ein »Angriff auf die jüdische Religion«. Bonny, so Joris, möge sich doch besser auf die Sünden seiner Kirche konzentrieren, darunter den Missbrauch von Kindern, als Israel vorzuschreiben, welche Maßnahmen es gegen die Kindervergewaltiger der Hamas als angemessen betrachte.
Doch Johan Bonny gab nicht nach. Am Wochenende ließ er sich beim flämischen TV-Sender VRT erneut zu der Angelegenheit ein. Benjamin Netanjahus Ziel sei »die absolute Vernichtung« Gazas, »bis zum letzten Mann«, behauptete der Bischof, und der israelische Ministerpräsident habe »gegenüber seinen Soldaten« entsprechende »religiöse Begründungen« dafür ins Feld geführt, so der Bischof weiter, sich einen »biblischen Mantel« umgehängt. Jesus hingegen habe Gewaltlosigkeit gepredigt.
Genozidal unterwegs
Am Montag veröffentlichte der »Standaard« dann noch eine Erwiderung. Sie kam von Dennis Baert vom Institut für Jüdische Studien der Universität Anwerpen. Mitunterzeichnet hatten sie Baerts Kollegin Vivian Liska sowie der Historiker Theodor Dunkelgrün. Bonnys Ansicht nach sei das Judentum eine enge, ausgrenzende Religion, eine Religion der »gewaltsamen Aneignung und militärischen Expansion«. Auf der anderen Seite stelle er dem das Christentum als eine angebliche Religion »der Liebe Gottes und des Heils Gottes« gegenüber.
Was der Bischof sage, so die Drei, sei nichts Geringeres, als dass der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern auf das Judentum zurückzuführen sei. Bonny unterscheide weder zwischen Juden und Israelis, er unterstelle sogar, dass die Juden so genozidal unterwegs seien, dass sie nur darauf gewartet hätten, endlich zu foltern und zu morden. »Es ist schwer zu verstehen, wie jemand, der so über Juden denkt, überhaupt jüdische Freunde haben möchte«, schreiben Baert, Liska und Dunkelgrün.
Bonny bediene sich zudem klassischer, längst überwunden geglaubter Klischees des christlichen Antijudaismus. Damit füge er dem jüdisch-christlichen Dialog und der Versöhnung »erheblichen Schaden zu«. Sie konstatieren: »Wer die Worte von Bischof Bonny liest, kann nur zu dem Schluss kommen, dass der Bischof von Antwerpen diesen Dialog und alles, was in ihm von Menschen guten Willens erreicht wurde, ablehnt.«