Warschau

Bildung bewahrt Zivilisation

Beim ukrainischen Limmud-Festival diskutierten die Teilnehmer über die Bedeutung des Lernens im Krieg

von Michael Gold  10.01.2023 21:49 Uhr

Eine der jüngsten Teilnehmerinnen Foto: Boris Bukhman

Beim ukrainischen Limmud-Festival diskutierten die Teilnehmer über die Bedeutung des Lernens im Krieg

von Michael Gold  10.01.2023 21:49 Uhr

Dies sind die Realitäten des jüdischen Lebens während des russischen Kriegs in der Ukraine: Zum ersten Mal seit 2008 hat Limmud, das größte jüdische Bildungsfestival des Landes, nicht in Lemberg oder Odessa, sondern im Ausland stattgefunden, in Warschau. Etwa die Hälfte der fast 100 Teilnehmer waren Juden, die aus Kiew und vielen anderen ukrainischen Städten stammten. Andere, die kürzlich zu Flüchtlingen oder Einwanderern geworden waren, kamen aus ganz Europa und aus Israel nach Warschau.

»Heute ein bekanntes Gesicht zu sehen, ist viel wert, und ich weiß, dass es hier bekannte Gesichter geben wird«, sagte der Schriftsteller und Dramaturg Alexander Volodarsky, der seit vergangenem Frühjahr in Stuttgart lebt, kurz vor dem Treffen. »Limmud ist schließlich eine Familie. Es kommen zwar immer wieder andere Leute, aber sie werden schnell zu einer Familie.«

MOTTO »Für mich hat der Krieg 2014 begonnen«, sagte Limmud-Ukraine-Chefin Galina Rybnikova bei der Eröffnung zu den Teilnehmern. Damals sei sie zu einem Seminar nach Israel gereist und nicht nach Hause, nach Lugansk, zurückgekehrt. »Die meisten von euch befinden sich heute in einer so schrecklichen Situation«, fuhr sie fort und erinnerte an das Motto des Limmud-Treffens: »Wir sind alle zusammen«. Für viele war das Treffen eine wichtige Erinnerung an ein normales Leben, das viele heute schmerzlich vermissen, sowie eine Gelegenheit, Pläne für die Zukunft nach dem Krieg zu schmieden.

»Heute sind wir alle Ukrainer«, sagte Boris Bukhman, ein bekannter Fotograf aus Odessa, dessen Kriegsfotos unter anderem im »Guardian« veröffentlicht wurden. Und so begannen auch die beiden Sänger Vladi Blaiberg und Michael Riskin, die von Israel nach Warschau gereist waren, ihre Auftritte mit ukrainischen Songs.

»Wie soll das jüdische Leben im Krieg aussehen?« Diese Frage stellte Daria Yefimenko, Koordinatorin der amerikanisch-jüdischen Hilfsorganisation JOINT, den Teilnehmern beim Round Table »Ukraine – War – People – Community«. Sollten sich jüdische Organisationen nur auf das physische Überleben der jüdischen Gemeinde konzentrieren?

Yefimenko erzählte, wie schwierig es gewesen sei, ihre Sponsoren einige Monate nach Kriegsbeginn davon zu überzeugen, Bildungsprogramme wiederzubeleben. Aber all das – Vorträge, Schabbat-Treffen, Diskussionen – hilft den Menschen, schwierige Zeiten zu überstehen.

KONTINUITÄT »Ich möchte, dass sich die Ukraine so schnell wie möglich erholt«, sagte der in Moskau geborene israelische Religionsphilosoph Pinchas Polonsky. Entscheidend für die Genesung sei die Kontinuität der Bildung – ein wichtiger Bestandteil der Bewahrung der zivilisatorischen Matrix. Und so trage das Limmud-Treffen angesichts des Krieges zur Bewahrung der Zivilisation bei.

Limmud half den Teilnehmern auch, die neue Realität zu reflektieren. So trug Volodarskys kreativer Abend den Titel »Auch Flüchtlinge scherzen«. Und in der Trainingseinheit am Samstag wurde den Teilnehmern beigebracht, »wie man das Leben jeden Tag genießt«, so der Titel.

Auch wenn das winterliche Warschau die ukrainischen Juden sehr herzlich willkommen hieß, hofft Reuven Stamov, der Oberrabbiner des konservativen Judentums in der Ukraine, dass dies die erste und letzte ukrainische Limmud-Konferenz im Ausland war.

Viele Teilnehmer des Treffens möchten gern im März zur Limmud-Konferenz nach Berlin reisen. Es wird eine gute Gelegenheit sein, alte Freunde und Bekannte wiederzusehen, denn seit Kriegsbeginn haben sich rund 5000 ukrainische Juden in Deutschland niedergelassen.

Gerichtsurteil

Haftstrafen für Gewalt gegen Israelis in Amsterdam

In digitalen Chat-Gruppen war der Anklage zufolge zu einer »Jagd auf Juden« aufgerufen worden

 24.12.2024

Kanada

Jüdische Mädchenschule in Toronto zum dritten Mal beschossen

Auch im vermeintlich sicheren Kanada haben die antisemitischen Angriffe extrem zugenommen - und richten sich sogar gegen Kinder

 23.12.2024

Bulgarien

Kurzer Prozess in Sofia

Der jüdische Abgeordnete Daniel Lorer wurde von seiner Partei ausgeschlossen, weil er nicht zusammen mit Rechtsextremisten stimmen wollte

von Michael Thaidigsmann  23.12.2024

Großbritannien

Gerechtigkeit und jüdische Werte

Sarah Sackman wurde als frisch gewählte Abgeordnete zur Justiz-Staatsministerin ernannt

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  23.12.2024

Spanien

Tod in den Bergen

Isak Andic, Gründer der Modekette Mango und Spross einer sefardischen Familie aus der Türkei, kam bei einem Familienausflug ums Leben

von Michael Thaidigsmann  23.12.2024

Australien

»Juden raus«-Rufe vor Parlament in Melbourne

Rechtsextremisten haben vor dem Regionalparlament in Melbourne antisemitische Parolen skandiert

 23.12.2024

Guatemala

Rund 160 Kinder vor ultraorthodoxer Sekte gerettet

Laut Behördenangaben wurden auf dem Gelände von »Lev Tahor« mutmaßliche sterbliche Überreste eines Kindes gefunden

 22.12.2024

Analyse

Putins antisemitische Fantasien

Der russische Präsident ist enttäuscht von der jüdischen Diaspora im Westen und von Israel

von Alexander Friedman  22.12.2024

Diplomatie

Israel und Irland: Das Tischtuch ist zerschnitten

Politiker beider Länder überhäufen sich mit Vorwürfen. Wie konnte es so weit kommen?

von Michael Thaidigsmann  18.12.2024