Ukraine

Beten, um zu überleben

Zu großen Teilen zerstört: Mariupol Foto: IMAGO/ITAR-TASS

Der Frühlingsbeginn ist auch in Kiew spürbar. Trotz allem, sagt Josef Zissels, der Vorsitzende der Vereinigung jüdischer Organisationen und Gemeinden der Ukraine. Bei einem Rundgang durch den Stadtteil Podil, in dem sich die älteste Synagoge Kiews befindet, habe er beobachtet, wie die Gemüse-, Fleisch- und Honigverkäufer in der historischen Markthalle wieder ihre Waren anbieten.

Auf den Straßen verkaufen betagte Frauen Tulpen, andere bieten Schnittblumen an. Vor der neuerdings wieder offenen Apotheke habe er eineinhalb Stunden in der Schlange gewartet, um seine Medikamente abzuholen, erzählt der 75-Jährige am Telefon. »Natürlich ist die Stadt nicht so vielfältig wie früher. Viele Waren fehlen, und die Menschen fehlen auch.«

nazismus-vorwurf Schon seit den 80er-Jahren engagiert sich Zissels für die Wiederherstellung des jüdischen Lebens in der Ukraine und betreut darüber hinaus Projekte in der Republik Moldau, Belarus und im Kaukasus. Allein dieser Umstand zeige, wie absurd der russische Vorwurf des Nazismus an die Ukraine sei: »In Österreich ist Antisemitismus ein viel größeres Problem als hierzulande, die Übergriffe und verbalen Entgleisungen sind in Polen viel höher. Ganz zu schweigen von Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich.«

Doch seitdem Russland die Ukraine vor mehr als einem Monat angegriffen hat, liegen Zissels’ Projekte auf Eis. Heute leistet er vor allem Hilfe bei der Evakuierung von Menschen und der Beschaffung von Medikamenten und Nahrungsmitteln. »Wir helfen allen, die sich an uns wenden, nicht nur Juden. Wir haben auch ein Projekt zur Unterstützung von Künstlern gestartet, die ihre Existenzgrundlage verloren haben. Im Moment sind wir von morgens bis abends beschäftigt«, sagt er.

Schätzungen zufolge lebten vor dem Krieg bis zu 250.000 Juden in der Ukraine. Ein Großteil jener, die zuvor im Osten des Landes ansässig waren, sei mittlerweile in andere Teile der Ukraine geflohen. Mehr als 10.000 haben das Land verlassen. Je länger die Situation andauere, desto mehr Menschen würden nach Israel evakuiert, so Zissels. Viele ukrainische Juden warteten in benachbarten Ländern und befänden sich im Prozess der Rückführung.

Knapp 90 Jahre nach dem »Holodomor«, Stalins Hungermord an der ukrainischen Bevölkerung, sind in Teilen der Ukraine Kartoffeln, Zwiebeln und Wasser erneut mehr wert als jede andere Währung.

Raketen, Schießereien, Tote. All das haben die Bewohner von Mariupol am Asowschen Meer schon 2014 durchlebt, als der Krieg im Donbass ausbrach. »Vielleicht haben die Menschen deshalb nicht daran glauben wollen, dass noch Schlimmeres möglich ist«, sagt Rabbiner Mendel Cohen über seine Heimatstadt.

binnenflüchtlinge Bis zuletzt verfielen sie nicht in Panik, denn der Krieg war bereits da. Er tobte acht Jahre lang wenige Kilometer von der 500.000-Einwohner-Stadt entfernt und kostete mehr als 14.000 Menschenleben. Der Krieg sorgte auch dafür, dass viele Binnenvertriebene aus den von Russland unterstützten Separatistengebieten in die Hafenstadt flohen. Sie bauten sich in Mariupol ein neues Leben auf, fanden ein Zuhause, Arbeit, Ruhe. Am 24. Februar wiederholte sich die Geschichte.

»Selbst jene, die eine Invasion für möglich hielten, hätten niemals gedacht, dass mehr als 80 Prozent unserer Stadt zerstört werden«, so Cohen, der sich mit seiner Frau und den vier Kindern in Israel befindet. Immer wieder unterbricht er das Telefonat, weil er Gespräche entgegennimmt von Menschen, die ihn aus der Ukraine anrufen und um Informationen über mögliche Evakuierungen und Unterkünfte bitten.

Allein in Mariupol sollen sich noch immer etwa 100 jüdische Familien aufhalten, sagt Cohen. Genaue Zahlen seien schwer zu ermitteln. Vor dem Krieg hatte die Gemeinde dort mehr als 5000 Mitglieder. »Mariupol war eine schöne Stadt, eine aufblühende Stadt, direkt am Meer«, so der Rabbiner. »Heute verhungern die Bewohner. Sie beten dafür, dass sie überleben. Jeden Tag aufs Neue.«

Knapp 90 Jahre nach dem »Holodomor«, Stalins Hungermord an der ukrainischen Bevölkerung, sind in Teilen der Ukraine Kartoffeln, Zwiebeln und Wasser erneut mehr wert als jede andere Währung.

Türkei

Berichte: Türkische Polizei verhaftet Mann, der Anschläge auf Juden plante

Der Tatverdächtige soll Befehle vom Islamischen Staat erhalten haben

 21.02.2025

London

Fasten und Beten gegen säkulare Bildung

Die ultraorthodoxe Gemeinde fürchtet die staatliche Kontrolle ihrer Schulen. Andere Juden finden gerade dies dringend nötig

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  17.02.2025

Meinung

Wie das Ende eines Alptraums, der fünf Jahre gedauert hätte

Alon Ishay ist erleichtert, dass die Koalitionsgespräche der FPÖ vorerst gescheitert sind

von Alon Ishay  17.02.2025

USA

Die Hoffnung von San Francisco trägt Levi’s-Jeans

Dem beliebten Touristenziel geht es schlecht. Der Millionenerbe und Philanthrop Daniel Lurie soll es richten. Er ist der vierte jüdische Bürgermeister Westküstenmetropole

von Sarah Thalia Pines  16.02.2025

USA

Aus dem Schatten von Taylor Swift

Gracie Abramsʼ Stern scheint am Pophimmel gerade besonders hell. Das liegt nicht nur an ihrer besten Freundin

von Nicole Dreyfus  16.02.2025

Griechenland

Israelisches Paar in Athen angegriffen

Der Mann und die Frau sprachen auf der Straße Hebräisch – zwei arabischsprachige Männer attackierten sie mit einem Messer

 16.02.2025

Australien

Krankenpfleger drohen, israelische Patienten zu ermorden

Premierminister Anthony Albanese sagt, das Video sei »von Hass getrieben und widerlich.«

von Imanuel Marcus  14.02.2025

Polen

Ronald S. Lauder erhält Karski-Preis

Lauder wird für sein Engagement für die Erneuerung jüdischen Lebens in Polen und das Schoa-Gedenken geehrt

 13.02.2025

Künstliche Intelligenz

So Fake, aber so gut

Ein AI-generiertes, an den Antisemiten Kanye West adressiertes Video geht gerade viral. Und es ist eine Wohltat!

von Sophie Albers Ben Chamo  12.02.2025