USA

Beten kostet

In unserer Tiefkühltruhe liegt ein reichliches Pfund koschere Hühnchenschnitzel. »7,69« Dollar steht auf dem Preisschild. Diese Schnitzel haben wir vergleichsweise billig gekauft, bei Fairway in der Upper West Side. Bei unserem jüdischen Metzger gleich um die Ecke in der Third Avenue – er heißt Park East Kosher – hätten wir mehr bezahlt (9,98 US-Dollar pro Pfund), und in einer ultraorthodoxen Gegend in Brooklyn – in Crown Heights oder Boro Park – sogar noch viel mehr. Schließlich sind die Hühnerschnitzel dort auch ganz besonders koscher. (Zum Vergleich: Schnöde trejfe Hühnerschnitzel bekommt man in Manhattan schon für 4,99 Dollar.)

Je frommer man lebt, desto mehr muss man für seinen Lebensunterhalt aufbringen. Wer sehr fromm lebt, hat aber meistens auch Kinder. Jack Wertheimer hat in einem Artikel im konservativen Magazin Commentary Folgendes ausgerechnet: Eine orthodoxe Familie mit drei Kindern gibt pro Jahr 50.000 bis 110.000 Dollar für Schulgeld, das obligatorische Sommerferienlager für die Sprösslinge, Synagogengebühren und koscheres Essen aus. Das sind nach heutigem Wechselkurs im schlimmsten Fall mehr als 85.000 Euro!

Dabei ist noch gar nicht über Kleidung gesprochen. Ein Schtreimel – das ist diese Pelzmütze, die chassidische Männer auch im Hochsommer tragen – kostet, wie Gewährsleute versichern, von 1.800 Dollar aufwärts. Für einen besonders edlen kann man sogar 5.400 Dollar auf den Ladentisch blättern. Und eine koschere Perücke schlägt mit 300 bis 500 Dollar zu Buche.

gebühren Nun betreffen solche Ausgaben nur chassidische Juden, die sich streng an die Gebote des Schulchan Aruch halten. Es gibt aber ein Thema, das auch jene Söhne und Töchter Israels angeht, die es mit der Lehre nicht empfindlich halten: Das sind Synagogengebühren. Sie sind sehr hoch und müssen es auch sein, weil Staat und Religion in Amerika viel strikter getrennt sind als in Deutschland.

Dass etwa der Staat eine Kirchensteuer einsammelt, finden Amerikaner einfach nur absurd. Unter einer »Körperschaft des öffentlichen Rechts« – als solche firmieren Religionsgemeinschaften in Deutschland – können Amerikaner sich eigentlich gar nichts vorstellen. Religiöse Gemeinden sind in den USA Vereine, ganz einfach. Diese sind weitgehend von der Steuer befreit, wie jede andere Organisation, die nicht auf Profit aus ist. Ansonsten gilt aber: Für den Erhalt ihrer Gebäude – Mikwes, Synagogen, Kulturzentren – sind die jüdischen Gemeinden selbst verantwortlich. Das Gehalt für Rabbiner und Kantoren müssen sie allein bezahlen.

Klingelbeutel Hier gibt es außerdem wichtige Unterschiede zu christlichen Gemeinden zu bedenken: In den Vereinigten Staaten üben christliche Prediger oft noch einen lukrativen Hauptberuf aus, sie sind also finanziell nicht von ihrem Job als Pastor abhängig. Rabbiner dagegen sind meistens nichts anderes als Rabbiner. Und weil man am Schabbat keinen Klingelbeutel herumreichen darf, kann man in Synagogen nicht so leicht Geld einsammeln.

In Amerika sind jüdische Gemeinden auf drei Geldquellen angewiesen: auf kapitalistische Philanthropie, auf Mitgliederbeiträge und auf Spenden, die etwa durch Versteigerungen einer »kowed« (Ehre) erzielt werden. So hat es der Autor dieser Zeilen an einem Jom Kippur in Brooklyn miterlebt, wie für eine Alija, einen Aufruf zur Tora, 5.000 Dollar geboten wurden. Aber das war eine einmalige Ausgabe; Mitgliederbeiträge müssen mehrmals bezahlt werden. Eine Studie aus dem Jahr 2005 hat ermittelt, dass die Mitgliedschaft in einer Synagogengemeinde in Amerika durchschnittlich 1.100 Dollar im Jahr kostet. Das mag für eine nette Gemeinde irgendwo draußen auf dem Land gelten. In Manhattan allerdings berappt man gut und gern das Dreifache.

abschreckend Selbstverständlich wird niemand von der Schwelle eines Bethauses gewiesen, weil er seinen Mitgliedsbeitrag nicht bezahlt hat – es sei denn an einem Hohen Feiertag, wenn die Sitzbänke übervoll sind. Gleichwohl muss sich niemand wundern, dass diese Mitgliedsbeiträge viele Juden vom religiösen Leben eher abschrecken. In den 90er-Jahren waren 70 Prozent der amerikanischen Juden »unaffiliated«, das heißt, sie gehörten keinem Synagogenverband an. Die Zahl dürfte seither eher noch gewachsen sein.

Längst denken die Köpfe jüdischer Organisationen in Amerika darüber nach, ob man die Eingangsschranken, an denen zur Kasse gebeten wird, ganz abräumen – oder ob man diese Schranken doch wenigstens radikal neu erfinden soll. Jay Sanderson, der Präsident der Jewish Federation of Los Angeles, sagte dem liberalen Magazin Newsweek: »Bei uns gibt es diese verrückte Idee, dass man zahlen muss, um mitspielen zu können.« Bei christlichen Kirchen werde man zunächst einmal zum Gebet eingeladen, dann erst werde um eine Spende gebeten. »Der erste Instinkt einer jüdischen Gemeinde ist zu sagen: ›Gebt uns Geld‹ statt ›Kommt rein‹.«

chabad Sanderson erklärt sich den großen Erfolg der Lubawitscher vor allem damit, dass sie dieses Schema durchbrechen: Die jungen Männer mit den schwarzen Hüten stehen an den Straßenecken, fragen freundlich, ob man jüdisch sei und laden dann zum Essen und zum Gottesdienst ein. Sanderson merkt an: Die Lubawitscher »funktionieren nach einem christlichen Modell«.

Wie kann man das jüdische Leben in Amerika billiger machen? Der Schlüssel liegt wohl in dem Slogan »small is beautiful«. Die Epoche des Antisemitismus, in der Juden von christlichen Sportclubs und Universitäten ausgeschlossen blieben, ist in Amerika gottlob vorbei. Niemand braucht mehr die gewaltigen Gemeindezentren, die Riesensynagogen aus jenen trüben Tagen. Wenn die Gebäude kleiner geworden sind, können auch die Mitgliedsgebühren schrumpfen. Koschere Hühnerschnitzel allerdings werden immer ein gutes Stück teurer sein als unkoschere. Und ein Schtreimel wird immer ein Luxusgegenstand bleiben. Das ist nicht nur in Amerika so.

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