Das Vereinigte Königreich erlebt derzeit eine dritte Corona-Welle, die schockierende Rekorde bricht. Großbritannien ist das erste europäische Land, in dem inzwischen bereits 100.000 Menschen an Covid-19 gestorben sind.
Die Behörden sind besorgt wegen einer neuen Coronavirus-Mutation, die weitaus ansteckender sein soll. Deshalb steht das ganze Land seit dem 5. Januar unter scharfen Lockdown-Regeln. Treffen mit Personen anderer Haushalte sind verboten. Die Menschen dürfen das Haus nur noch zum Einkaufen von Lebensmitteln verlassen sowie zur körperlichen Ertüchtigung oder wenn sie nicht von zu Hause aus arbeiten können.
ausnahmen Eine der wenigen Ausnahmen – zumindest in England und Wales – ist die Teilnahme an Gottesdiensten. In Nordirland und Schottland sind sie jedoch untersagt. Michael Black, Vorstandsvorsitzender der jüdischen Gemeinde in Belfast, erzählt, es habe seit März nur zwei Synagogengottesdienste gegeben, und die seien wegen der Maskenpflicht ziemlich trist gewesen.
Gottesdienste per »Zoom« gebe es nicht, denn die Gemeinde sei alt und orthodox. »Stattdessen verschickt der Gemeinderabbiner jede Woche eine E-Mail, und die Mitglieder telefonieren miteinander«, so Black.
In Schottland finden Gottesdienste nur noch online statt, wie eine Sprecherin der jüdischen Gemeinden in Schottland erklärte. Selbst die orthodoxen Gemeinden machten dies, sie hätten keine Wahl.
Richtlinien Eine Wahl gibt es jedoch noch in England und Wales. Hier ist eine Teilnahme von bis zu 30 Personen auf Distanz weiterhin gestattet. Ein Sprecher der Vereinigung orthodoxer Gemeinden in London gab an, man habe alle Mitglieder darauf hingewiesen, die Richtlinien einzuhalten. Bisher habe niemand Zoom-Gottesdienste einführen müssen.
Anders ist es bei den 36 liberalen Gemeinden in England, wo es derzeit ausschließlich Online-Gottesdienste gibt. Es sei inzwischen leichter, dies umzusetzen, als noch im März, als all das neu war, sagt Rabbinerin Charley Baginsky, Geschäftsführerin von Liberal Judaism (UK). Besondere Hilfe gebe es jedoch für all diejenigen, die Gottesdienste leiten, »um zu vermeiden, dass einzelne Mitglieder die große Last allein tragen müssen«.
Nachdem Londons Bürgermeister Sadiq Khan Mitte Januar empfohlen hatte, die Synagogen sollten wegen der Pandemie schließen, verringerte sich die Anzahl der Bethäuser, die noch geöffnet sind.
Die britisch-jüdische Reformbewegung hat zum neuen Lockdown ein mehrseitiges Positionsdokument herausgegeben, das den Gemeinden die Entscheidung zur Art des Gottesdienstes erleichtern soll. Darin wird das Prinzip von Pikuach Nefesch, der Pflicht, Leben zu retten, unterstrichen.
Ansteckungsgefahr Mit Hinweis auf die derzeit besonders hohe Ansteckungsgefahr steht dort: »Offen bleiben zu dürfen, bedeutet nicht, dass wir offen bleiben müssen oder sollten.«
Andere Leitprinzipien seien, dass alle jüdischen Menschen füreinander verantwortlich und gleich viel wert sind, und dass Menschen nicht in eine Situation gebracht werden dürfen, wo sie den ihnen auferlegten Vorschriften nicht folgen können. Auch sollte darauf geachtet werden, dass keine Zweiklassenmitgliedschaft entstehe, weil etwa manche an physischen Treffen teilnehmen könnten, während ihnen andere aus der Distanz über Videolink zusehen müssten.
Nur eine einzige der 39 englischen Reformgemeinden beschloss, geöffnet zu bleiben, und auch das nur für Bar- und Batmizwa-Feiern mit einer stark begrenzten Anzahl von Teilnehmern.
entscheidung United Synagogues, die Vereinigung konservativer britischer Synagogen, überließ die Entscheidung ebenfalls den Gemeinden. Nachdem Londons Bürgermeister Sadiq Khan Mitte Januar empfohlen hatte, die Synagogen sollten wegen der Pandemie schließen, verringerte sich die Anzahl der Bethäuser, die noch geöffnet sind.
Steven Wilson, Geschäftsführer der United Synagogues, forderte, niemand dürfe sich gezwungen fühlen, an einem Minjan teilzunehmen. Er habe wegen der Frage, ob die Bethäuser offen bleiben sollten, schlaflose Nächte gehabt, sagte er. Um den Empfehlungen des Bürgermeisters und anderer nachzukommen, bat er die letzten elf noch geöffneten Synagogen, die Schutzmaßnahmen zu erhöhen und die Zahl der Beter auf 20 zu reduzieren. Dies erlaube es, dass Trauernde angemessen gedenken und Bar- und Batmizwa-Feiern stattfinden können.