Rumänien

Beten im Banat

Eine Kette mit weiß-blauen Israel-Flaggen zieht sich durch den hellen Raum, in dem zahlreiche Schulbänke und Stühle stehen. Auf einer weißen Tafel notiert Tina Sas einige Worte. Hebräisch steht heute auf dem Stundenplan. Dann rollt die junge Lehrerin eine Panoramakarte von Jerusalem auf dem Tisch aus. Ihre Sprachschüler, drei Frauen und zwei Männer, beugen die Köpfe darüber. Wie heißt der Ölberg gleich noch einmal auf Hebräisch? Tina Sas schreibt alle Vorschläge geduldig an die Tafel.

Zwei Mal pro Woche unterrichtet sie die Sprache sowie israelische Tänze im jüdischen Gemeindezentrum von Timisoara (ungarisch Temeswar), einer Stadt mit etwa 300.000 Einwohnern im Westen Rumäniens.

Eine von Sas’ Schülerinnen ist Donata Lindemann. »Am schwierigsten ist das Konjugieren der hebräischen Verben«, sagt die 50-Jährige, die in der italienischen Schweiz aufgewachsen ist und seit 16 Jahren mit ihrem Ehemann in Rumänien lebt. Ansonsten habe sie »sehr viel Freude« an den Treffen in der Gemeinde, so die Frau mit dem glatten langen Haar.

Im Nebenzimmer ist es an diesem Vormittag hingegen sehr ruhig: Stoffbären liegen auf einem Teppich, den aufgedruckte Spielstraßen durchziehen. Am Nachmittag werden Kinder kommen und mit ihnen spielen. Zwei Türen weiter reihen sich Computer an der Wand – hier finden Kurse statt, auch für Ältere.

Generationen Luciana Friedmann ist stolz auf die neuen Räume, die die Gemeinde im vergangenen Herbst eingeweiht hat. Die 34-jährige Journalistin wurde im letzten Jahr zur neuen Präsidentin der Gemeinde gewählt. Sie ist zwei Generationen jünger als ihr Vorgänger. Das Büro der jungen Frau, das sich in der ersten Etage des Gemeindezentrums befindet, prägen Parkettboden, hohe Stuckdecke und ein wuchtiger Tisch.

An der Wand hängt das Porträt des letzten Rabbiners, Ernest Neumann, der die Gemeinde 62 Jahre lang bis zu seinem Tod 2004 geleitet hat. »Er war eine charismatische Persönlichkeit«, sagt Friedmann und zeigt auf eine Urkunde an der Wand. »Sogar der rumänische Präsident hat ihn ausgezeichnet.« Auch in anderen Räumen des zweistöckigen Gemeindezentrums stößt man immer wieder auf Fotos des Rabbiners.

Über den Innenhof des Gemeindezentrums erreicht man den kleinen Gebetsraum. »Hier war früher ein Magazin. Erst vor wenigen Monaten haben wir es umgebaut«, erklärt Friedmann. 50 bis 70 Beter finden sich seither jeden Freitag zum Gottesdienst ein.
Im schattigen Innenhof haben sich ein paar Männer und Frauen an einem Esstisch versammelt. Im Inneren des koscheren Gemeinderestaurants sitzen an diesem heißen Vormittag hingegen kaum Gäste. Heute gibt es Griessuppe, Hühnchen mit Kürbismus und einen Apfel als Nachtisch. Ein Ehepaar aus den USA ist zu Besuch, das die koschere Küche ebenfalls nutzt.

Täglich werden hier bis zu 60 Menüs gekocht, die Hälfte davon bekommen hilfsbedürftige Ältere frei Haus geliefert. Ein Arzt und eine Krankenschwester stehen ihnen ebenfalls zur Verfügung. Überhaupt werden Senioren, denen die oftmals knappe rumänische Rente kein wirkliches Auskommen sichert, etwa in Form von Essensgutscheinen unterstützt. Das Geld dafür kommt aus der Hauptstadt Bukarest und stammt zum Teil von der amerikanisch-jüdischen Hilfsorganisation JOINT.

Krautwickel Paul Sterescu ist 85 Jahre alt, er trägt ein gestreiftes Hemd und eine Brille. Der ehemalige Anwalt, der im Vorstand der Jüdischen Gemeinde sitzt, kommt jeden Tag ins Restaurant. Besonders freut er sich auf Sarma, gefüllte Krautwickel, und Bohnengerichte. »Ich hatte gesundheitliche Probleme, bis ich die koscheren Gerichte für mich entdeckte«, sagt er. Seither ist der Rentner Dauergast im Gemeindezentrum. »Es hat sich vieles geändert, seit Luciana Friedmann unsere Präsidentin ist«, lobt er die neue Gemeindechefin.

Sterescu spricht neben seiner Muttersprache Rumänisch auch Englisch, Französisch, ein paar Worte Deutsch und aus seiner Kindheit noch ein wenig Jiddisch. Neben Sprachen begeistert sich der alte Mann für das Internet. Wie man damit umgeht, hat er sich selbst beigebracht. Seitdem liest er jeden Tag viele Zeitungen aus aller Welt.

Früher gab es in Timisoara sechs Synagogen, heute sind es noch drei. Eine davon liegt in der Innenstadt, nur wenige Meter vom jüdischen Gemeindezentrum entfernt. Das Gebäude mit maurischen Elementen und einer Keramikbordüre, die seit einiger Zeit stellenweise ab- blättert, wird im Hof von einem Holzgerüst gestützt. Die Synagoge ist an die städtische Philharmonie vermietet, die kaum Geld für die Sanierung hat. In einem weiteren Bethaus sind Teile des Stadttheaters untergebracht.

Lediglich in der Synagoge in der Josefstadt trifft man sich noch zum Gottesdienst. Bis zu 500 Beter finden sich dann manchmal ein. Das sei sehr viel, sagt Luciana Friedmann, wenn man bedenkt, dass die Gemeinde heute nur noch 600 Mitglieder zählt.

multikulti In den Zwischenkriegsjahren lebten etwa 13.000 Juden in Timisoara, der multikulturellen Hauptstadt des Banat. Hier waren traditionell schwäbische Bauern, Serben, Ungarn und Rumänen zu Hause. Bis heute gibt es ein deutsches und ein ungarisches Staatstheater, eine deutsche Zeitung und täglich eine Stunde deutschsprachiges Radioprogramm – multiethnische Spuren einer Region, die früher zur k.u.k. Monarchie gehörte.

Infolge des Zweiten Weltkriegs und der kommunistischen Herrschaft haben die meisten Juden die Stadt verlassen. Bevorzugte Ziele waren Israel, Amerika, Frankreich, Kanada und Deutschland. Heute wandere kaum noch jemand aus, sagt Friedmann. Dass dies so bleibt, dafür will sie sich starkmachen.

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