Polen

Bet schneller, Rabbi

Schabbat in der Synagoge der Jüdischen Konfessionsgemeinde in Katowice, Polen. An einem Ende des Tisches sitzt eine ältere Frau. Sie wirkt etwas skeptisch, zugleich gut gelaunt, singt nach der Taktvorgabe von Rabbiner Yehoshua Ellis Lieder zum Schabbat, unterhält sich dann lautstark mit ihren Nachbarinnen. Am anderen Ende des Tisches sitzen zwei junge Israelis, sie singen fast lauter als Rabbi Ellis, sie bringen das Gebäck, Fisch und Wein, dann eine Suppe.

»Das ist doch keine Suppe«, sagt die Frau empört zu ihren Sitznachbarinnen. Die jungen Austauschstudenten können sie nicht hören. Auch Rabbi Ellis, in der Mitte der rund 15-köpfigen Runde sitzend, bekommt die Kritik nicht mit. Er hört auch nicht, als die Frau auf die Frage, ob denn die Gemeinde auch vor Ankunft des Rabbiners regelmäßig Schabbat gefeiert habe, mit Unverständnis reagiert. Natürlich habe man das, denn um jüdisch zu leben, brauche man keinen Rabbiner.

aktivieren »Einige ältere Juden hier sehen die jungen Menschen, nicht nur die aus Israel, durchaus kritisch«, sagt Ellis ein paar Tage später im Gespräch. Im US-Bundesstaat Kansas geboren und aufgewachsen, ist der 34-Jährige seit Mitte 2010 Rabbiner in der südpolnischen Gemeinde, die ein Gebiet etwa so groß wie Hessen umfasst. Es habe einige Ältere gegeben, die vor seiner Ankunft in Katowice stets zum Schabbat gekommen seien. Und nun nicht mehr kämen.

Dabei ist sein Ziel ein ganz anderes: Er will die Gemeinde mit ihren derzeit gut 100 aktiven Mitgliedern motivieren, sie konsolidieren, den Menschen Angebote machen, Jüngere und Neue einbinden. Zwar habe es bereits vor seinem Amtsantritt koscheres Essen gegeben, Gebete, Besuche bei Alten und Kranken, Hilfe in Notsituationen. »Aber nicht immer und nicht durchgehend«, sagt der 34-Jährige.

Zufall Nach Polen kam Ellis trotz eigener polnischer Wurzeln eher durch Zufall. Kurz nachdem er 2003 sein Studium abgeschlossen hatte, wollte er mit dem Joint Distribution Committee als Freiwilliger nach Indien oder in die Türkei. »Als man mir aber Polen anbot, sagte ich zu«, erinnert sich der Rabbiner. Nach dem ersten, knapp einjährigen Aufenthalt als Freiwilliger fasste er den Entschluss, »dass ich Rabbiner in Polen werden will«.

Ellis erinnert sich gerne daran, wie er 2010 von der Katowicer Gemeinde eingeladen wurde, bei ihr als Rabbiner zu wirken. Wlodzimierz Kac, Vorsitzender der Gemeinde, hingegen beschreibt die Entscheidung mit deutlich neutraleren Worten. Ja, man habe sich Ellis gewünscht, als Polens Oberrabbiner Michael Schudrich der Gemeinde mehrere Kandidaten vorstellte, sagt Kac.

Der 34-Jährige habe bereits in den Jahren zuvor die Gemeinde besucht und dort geholfen. »Das ist einer der Gründe, warum die Gemeinde gerade ihn wollte. Außerdem wuchs er als Jude in einer Umgebung auf, in der Juden die absolute Minderheit waren. Das ist auch bei uns der Fall«, erläutert Kac. Wirklich warme Worte für den Rabbiner findet Kac indes nicht.

Parteinahme Das mag daran liegen, dass sich der Gemeindechef in den Reibereien zwischen älteren und jüngeren Juden eher auf die Seite der älteren Generation schlägt. Es seien die von Ellis gepflegten langen Formen bei den Festen, die ältere Leute abschreckten, weil diese einfach nicht mehr so viel Kraft hätten, mehrere Stunden auszuhalten, sagt Kac.

Ellis hingegen sieht ein Problem in der Marginalisierung jüdischen Lebens insgesamt. Weil man sich aber selbst nicht mehr stark fühle, sagt Ellis, sei es einfacher, andere zu schwächen, als sich selbst zu stärken. Ihm liege sehr am Herzen, die Gemeinde insgesamt zu kräftigen – auch die älteren Mitglieder.

Die intensive religiöse Praxis, wie sie Ellis pflegt, war den polnischen Juden vor allem in den vergangenen 40 Jahren kaum möglich. Heute geht es vielen eher um den sozialen Zusammenhalt. Kac bestätigt das indirekt: »Ich würde gerne auch nicht religiöse Aktivitäten organisieren, etwa Vorträge zur Geschichte der Juden in unserer Region«, sagt er. Für ihn sei die Gemeinde mehr als ein religiöser Zusammenschluss.

Kommunikation Dialog ist wichtig innerhalb der Gemeinde. Doch die Sprache bildet noch eine Barriere, die eine vertiefte Kommunikation zwischen Ellis und der Gemeinde behindert. Ellis spricht noch nicht fließend Polnisch, die Gemeindeverantwortlichen nur begrenzt Englisch. Überhaupt sei die polnische Gesellschaft sehr homogen, sagt der Rabbiner, der seit drei Jahren mit einer polnischen Jüdin aus Bytom verheiratet ist. »Es ist eine herausfordernde Erfahrung, derjenige zu sein, der anders ist.« Erbaulich sei es, aber kräftezehrend.

Seine Zukunft, sagt Ellis, hänge davon ab, ob und wie lange ihn die Gemeinde brauchen werde. Ginge es nach Kac, soll Ellis in jedem Fall bleiben – »wenn jemand den Unterhalt sichern kann«, was Katowice als arme Gemeinde nicht leisten könne.

»Ich möchte den Prozess der Entwicklung des Judentums in Polen mitgestalten, denn es passiert hier enorm viel und es wird noch mehr sein«, ist Ellis überzeugt. Das Spezifische an Polen sei, dass hier viele Menschen ihre jüdischen Wurzeln entdecken. Oder sich erstmals zu ihnen bekennen. Vor allem, aber nicht nur die Jüngeren.

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