Schweiz

Bei Anruf Rettung

Moderner Krankenwagen: Vorbei ist die Zeit, da die Hazoloh-Männer mit dem Privatauto zum Rettungsort eilten. Foto: cc

Zürich, Stadtteil Wiedikon: Eine orthodoxe ältere jüdische Frau bricht plötzlich zusammen, ihre Tochter fordert telefonisch Hilfe an. Doch noch bevor ein regulärer Krankenwagen da ist, braust ein anderer Notfallwagen an, beschriftet in Deutsch und Hebräisch. Heraus springen ein paar Männer, sorgen für die Erste Hilfe und klären ab, ob weitere medizinische Versorgung nötig ist. Die Männer sind an ihren gelben Jacken klar als Sanitäter zu erkennen. Bei manchen hängen darunter weiße Ziziot hervor, einige tragen Schläfenlocken. Kurz danach ist der Einsatz erfolgreich beendet: Die Frau hat sich erholt, sodass die Ambulanz sie nach Hause fährt und nicht in die Klinik.

Dieses Beispiel ist zwar frei erfunden, könnte sich aber in Wiedikon oder einem anderen Zürcher Stadtviertel, in dem viele orthodoxe Juden leben, jederzeit abspielen. Bei den Sanitätern handelt es sich um die Mitarbeiter von Hazoloh (hebräisch für »Rettung«), einer weltweit tätigen Organisation, die ihren Hauptsitz in New York hat.

Die Grundidee ist, dass zwischen dem Hilferuf und dem Eintreffen der Rettungsfahrzeuge möglichst wenig Zeit vergeht. Die Sanitäter wissen, dass manchmal Sekunden entscheidend sind.

stadtbild In Zürich gibt es Hazoloh seit 20 Jahren. Die insgesamt 14 frommen Retter gehören also längst zum Stadtbild. Seit einiger Zeit fahren sie mit ihrem charakteristischen Krankenwagen vor. »Vorher leisteten wir mit Privatautos Hilfe«, erzählt Hazoloh-Leiter Samuel Bollag, der fast von Anfang an dabei ist.

Außer in Zürich gibt es die freiwilligen jüdischen Sanitäter noch in anderen europäischen Städten: in England und im belgischen Antwerpen. »Wir leben davon, dass sich hier Menschen unserer Gemeinschaft für andere einsetzen«, sagt Bollag. Nachwuchsprobleme kenne man nicht. Es falle nicht schwer, jüngere Menschen für dieses Ehrenamt zu begeistern. »Wir haben auch Leute, die sich nach dem Jeschiwa-Studium in Israel oder den USA bei uns melden, weil sie dort auch Hazoloh begegnet sind.«

Dass Hazoloh ausschließlich Juden helfe, die akute medizinische Probleme hätten, ist ein Vorurteil. »Selbstverständlich sind wir für alle da«, betont Bollag. Die interne Notfallnummer kennen allerdings nur Eingeweihte, so Bollag, doch würde man keinesfalls wegsehen, wenn man irgendwo in der Stadt auf einen Passanten in Not stoße. Der Grundsatz sei zuallererst, Leben zu retten, so Bollag. Außerdem gebe es gerade in der kleinen charedischen Zürcher Gemeinschaft Menschen, die ausdrücklich nicht von den eigenen Sanitätern verarztet werden möchten. »Manchmal kennt man sich zu gut«, so Bollag.

Doch im Herbst vergangenen Jahres war Hazoloh fast genauso besorgt um den eigenen Zustand wie um Menschen in Not: Denn im Kanton Zürich müssen seit Anfang 2012 im Notfallbereich neue Normen umgesetzt werden. Man spricht viel von »Qualitätssicherung«, die immer mehr Schweizer Kantone für verbindlich erklärt haben. So schreibt der federführende Interverband für Rettungswesen (IVR) in Bern in seinen Richtlinien beispielsweise neuerdings vor, dass bei jedem Rettungseinsatz ein Sanitäter mit Diplom des Schweizer Roten Kreuzes dabei sein muss, ebenso ein Notarzt, der die Gesamtverantwortung trägt.

Solche Vorgaben sind für Hazoloh allerdings bloß fromme Wünsche: »Unsere Leute stehen alle im Berufsleben, haben Familie und können keine einjährige Ausbildung absolvieren, wie das vom Kanton gefordert wird«, sagt Bollag.

kosten Und da ist dann auch noch das Finanzielle: »Viele kleine Rettungsdienste können die Kosten für den aufwändigen Bereitschaftsdienst und die Ausrüstung der Leute nicht decken«, sagt IVR- Leiter Martin Gappisch. Das gilt auch für Hazoloh, die – von den jüdischen Gemeinden unabhängig – als Verein organisiert ist und ausschließlich von Spenden und Schenkungen lebt.

Diese Hürden hätten dazu führen können, dass die Hazoloh-Sanitäter nur noch sehr eingeschränkt auf Zürichs Straßen anzutreffen wären. Denn ohne die neue Betriebsbewilligung hätte sich Hazoloh auf Krankentransporte und Erste Hilfe beschränken müssen.

Samuel Bollag warnte vergangenes Jahr davor, die Situation zu dramatisieren – und hatte schließlich Erfolg: Die Zürcher Behörden handhaben die neuen Vorschriften bis jetzt sehr pragmatisch. So können die 14 jüdischen Sanitäter auch weiterhin ihre Einsätze fahren und Menschenleben retten.

Gerichtsurteil

Haftstrafen für Gewalt gegen Israelis in Amsterdam

In digitalen Chat-Gruppen war der Anklage zufolge zu einer »Jagd auf Juden« aufgerufen worden

 24.12.2024

Kanada

Jüdische Mädchenschule in Toronto zum dritten Mal beschossen

Auch im vermeintlich sicheren Kanada haben die antisemitischen Angriffe extrem zugenommen - und richten sich sogar gegen Kinder

 23.12.2024

Bulgarien

Kurzer Prozess in Sofia

Der jüdische Abgeordnete Daniel Lorer wurde von seiner Partei ausgeschlossen, weil er nicht zusammen mit Rechtsextremisten stimmen wollte

von Michael Thaidigsmann  23.12.2024

Großbritannien

Gerechtigkeit und jüdische Werte

Sarah Sackman wurde als frisch gewählte Abgeordnete zur Justiz-Staatsministerin ernannt

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  23.12.2024

Spanien

Tod in den Bergen

Isak Andic, Gründer der Modekette Mango und Spross einer sefardischen Familie aus der Türkei, kam bei einem Familienausflug ums Leben

von Michael Thaidigsmann  23.12.2024

Australien

»Juden raus«-Rufe vor Parlament in Melbourne

Rechtsextremisten haben vor dem Regionalparlament in Melbourne antisemitische Parolen skandiert

 23.12.2024

Guatemala

Rund 160 Kinder vor ultraorthodoxer Sekte gerettet

Laut Behördenangaben wurden auf dem Gelände von »Lev Tahor« mutmaßliche sterbliche Überreste eines Kindes gefunden

 22.12.2024

Analyse

Putins antisemitische Fantasien

Der russische Präsident ist enttäuscht von der jüdischen Diaspora im Westen und von Israel

von Alexander Friedman  22.12.2024

Diplomatie

Israel und Irland: Das Tischtuch ist zerschnitten

Politiker beider Länder überhäufen sich mit Vorwürfen. Wie konnte es so weit kommen?

von Michael Thaidigsmann  18.12.2024