Herr Verber, wie bewerten die britischen Juden das Ergebnis des Brexit-Referendums?
Unsere Gemeinschaft ist in dieser Frage keineswegs nur einer Meinung. Manche begrüßen das Ergebnis, andere nicht. Wir als Dachorganisation haben uns im Vorfeld neutral dazu verhalten und beide Seiten zu einer Debatte eingeladen.
Und jetzt nach der Entscheidung?
Die Zukunft kann niemand vorhersagen. Fest steht jedoch, dass die jüdische Gemeinschaft und Israel mit Premierminister David Cameron einen Freund verlieren. Wir bedauern das. Aber ebenso begrüßen wir die Persönlichkeit, die ihm folgen wird.
Welche Konsequenzen hätte ein Brexit für Juden in Schottland, Nordirland und Wales?
Der Dezentralisierungsprozess in Großbritannien macht eine lokale Verwaltung notwendiger. In Nordirland und Wales ist das kaum ein Problem, denn dort leben nur wenige Juden. Anders verhält es sich in Schottland. Aber dort werden die Juden bereits durch einen eigenen Dachverband vertreten, mit dem wir schon seit Jahren zusammenarbeiten.
Welche Ängste und Sorgen bereitet Juden der mögliche Brexit?
Wie gesagt, manche haben überhaupt keine Bedenken, sondern sind hochzufrieden mit dem Abstimmungsergebnis. Andere hingegen betrachten die Entwicklung mit Sorge. Viele Gemeindemitglieder finden es problematisch, dass sich die Brexit-Debatte auf Einwanderer konzentriert. Denn viele von uns und unseren Familien waren und sind selbst Migranten. Manche sind auch in Sorge um das Recht der Beschneidung sowie der Schechita, des rituellen Schlachtens.
Inwiefern?
Einige behaupten, mit Großbritannien werde innerhalb der EU eine wichtige Stimme verschwinden, die diese Rechte unterstützt. Andererseits: Sollte es dazu kommen, dass die EU diese rituellen Praktiken verbietet – möge es der Allmächtige verhüten –, dann sind wir in Großbritannien nicht mehr davon betroffen. Allerdings muss man sagen, dass unser Fleisch hauptsächlich aus den EU-Staaten Polen und Irland kommt.
Wie könnte sich der Brexit auf Rechtspopulisten zum Beispiel in Polen und Ungarn auswirken, die gern auch antisemitisch argumentieren?
Zu dieser Liste könnte man ebenso auch Deutschland, Schweden und Frankreich hinzufügen. Diese Länder sind zwar sehr unterschiedlich, aber es gibt dort überall Bewegungen, die vor allem Immigranten und Muslime herabwürdigen. Europafeindliche Strömungen in diesen Ländern argumentieren – ähnlich wie die Brexit-Befürworter – eher emotional und populistisch als rational. Diese Entwicklung ist bedenklich, denn sie könnte zu einer Ausgrenzung führen, wie Juden sie in der Vergangenheit erlebt haben.
Mit dem Vizepräsidenten des Board of Deputies of British Jews sprach Daniel Zylbersztajn.